Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Samstag, 31. Januar 2009

Kommissarin 12 - Kapitel 3

Wie peinlich? Was sollte ich sagen? Ich nickte und nannte den erstbesten Namen, der mir einfiel: »Ja, auf Frau Alexandra Schmeißer.«
»Alexandra Schmeißer?« Die Frau wiegte nachdenklich den Kopf. »Schmeißer, haben Sie gesagt? Nicht, Schießer? Alexandra Schmeißer, die kenne ich nicht. Aber wir sind ja auch so viele hier. Am besten, Sie fragen in der Verwaltung nach.« Ehe ich mich versah, begleitete sie mich zu einer Art Rezeption. »Ah, die Frau Walter beschwert sich wieder übers Essen«, kommentierte sie eine aufgeregte ältere Dame, die mit der einzig verfügbaren Mitarbeiterin heftig diskutierte. »Ich lass’ Sie jetzt alleine«, verabschiedete sich die selbst erkorene Begleiterin von mir, »bis die Walter fertig ist, das dauert.«
Zum Glück. Somit hatte ich Zeit, mir eine Strategie auszudenken. Sollte ich wirklich nachfragen, ob eine Frau Schmeißer im Haus war, zwecks Interviews mit Bewohnern? Das kam mir lächerlich vor, wie das Verhalten eines eifersüchtigen Gockels. Nein, das ging nicht. Ich wagte jedoch nicht, den Raum zu verlassen, womöglich lauerte die Dame, die mich in die Verwaltung geleitet hatte, draußen auf mich, um sich zu erkundigen, ob ich die gewünschte Auskunft erhalten hätte.
Die Zeit wurde knapp. Die Mitarbeiterin bemühte sich seit geraumer Zeit, Frau Walter zu verabschieden. Bald wäre ich an der Reihe. Da hatte ich einen Geistesblitz: Berta Schmalbaum. Die Alte aus der KB-Akte. Ja, ich würde nach Berta Schmalbaum fragen. Wenn sie mich zu ihr begleiten wollten? Warum nicht? Von einer Sekunde auf die nächste war ich von der Idee begeistert, Berta Schmalbaum persönlich kennen zu lernen. Vielleicht könnte sie mir von dem Besuch der Kommissarin berichten. Wie die KB so wäre. Wenn ich schon das eine Problem, Sandra, nicht meisterte, käme ich vielleicht bei dem zweiten Geheimnis, der KB, ein Stück voran.
Ich war so sehr von dieser Vorstellung berauscht und bemerkte daher gar nicht, dass Frau Walter endlich abgefertigt worden war. Erst als mich die Mitarbeiterin zum zweiten Mal ansprach, reagierte ich und nannte den Namen der gesuchten Bewohnerin. Ich sah das Gesicht der Angestellten sich verdüstern und hörte sie mit professionellem Mitleid murmeln: »Mein Beileid.«
Ich verstand nicht. Verwirrt fragte ich nach. Wohnte Frau Schmalbaum nicht hier?
Die Mitarbeiterin wich meinem Blick aus und begann in den Unterlagen zu kramen. Schließlich legte sie mir die Kopie einer Pate hin. »Es tut mir Leid, Frau Schmalbaum ist verstorben. Kürzlich. Ich dachte, Sie wussten das. Es wurde sogar im Bezirksblatt bekannt gegeben.«
Bedauernd schüttelte ich den Kopf. Ihr Ableben irritierte mich. Mittlerweile hatte ich mich in meine Idee verrannt, und ich hätte gerne die Alte, die witzig gewirkt hatte, kennengelernt.
»Sind Sie ein Verwandter?«
»Nein, es war…« Verzweifelt suchte ich nach einer glaubwürdigen Begründung. Ich hörte jemanden hinter mir die Tür öffnen. Die hereintretende Person enthob mich einer Erklärung und erlaubte der Mitarbeiterin, mich mit den Worten »Sie können das gerne mitnehmen« abzufertigen. Gedankenlos packte ich die Pate ein, als ich neben mir eine vertraute Stimme sagen hörte: »Ich würde mich noch gerne persönlich bei der Leiterin verabschieden, dass sie mir so kurzfristig ermöglicht…«
»Sandra!« entfuhr mir überrascht.
Der Blick, mit dem sie mich maß, hätte töten können. »Sieh an, was machst du denn da?« Natürlich hatte sie mich durchschaut.
»Sie kennen sich?« wunderte sich die Mitarbeiterin. »Der Herr wollte Frau Schmalbaum besuchen, aber leider« – ihre Stimme wurde leiser – »ist sie vor einiger Zeit von uns gegangen.«
»Was für ein bedauerlicher Zufall!« ätzte Sandra. Die Angestellte sah sie angesichts dieser Pietätlosigkeit pikiert an und fragte mich: »Wollen Sie auf die Dame warten?«
»Das will er sicher«, entgegnete Sandra an meiner Stelle.
Der Weg zur Straßenbahn war kein Honiglecken. Sandra war stinksauer auf mich. »Ich soll dir die Geschichte abnehmen, dass du diese Schmalbaum besuchen wolltest. Wahrscheinlich hast du ein Gespräch belauscht, dass diese Dame gerade gestorben ist.«
»Sandra, glaub mir…«
»Ha ha«.
Dummerweise erwähnte ich, dass Berta Schmalbaum im Zusammenhang mit den KB-Akten stand. Sandra drohte an, bei ihrer Mutter nachzufragen. Mist, das hätte mir gerade noch gefehlt! Daher entschied ich mich die Lüge, die ja nicht so fern von der Wahrheit lag: »Okay, Sandra, du hast Recht. Das mit der Berta Schmalbaum habe ich mir ausgedacht. Ich bin wegen dir hergekommen, ich wollte dich abholen, dachte, es ginge sich der Zoo noch aus.«
»Hast du nicht am Mittwoch Vorlesungen?« Was sie plötzlich alles wusste!
»Ich dachte, du freust dich, wenn ich dich abhole.«
»Freuen. Ha!« Die Straßenbahn war in die vor uns liegende Haltestelle eingefahren. Sandra fing an zu laufen und rief mir zu: »Ich finde allein nach Hause!« Zähneknirschend musste ich zuschauen, wie sie in die Niederflurstraßenbahn hüpfte.
»Hey, Kumpel« – der Rempler von Adi brachte mich wieder in die Realität zurück – »Liebeskummer oder diese Kommissarin?«
Ich riss mich von der Erinnerung los. »Beides«, murmelte ich.
»Kannst dich nicht für eine der beiden Weiber entscheiden?« spottete Otto.
»Blödsinn«, widersprach ich. »Die Kommissarin kenne ich doch gar nicht.«
»Dann schnapp’ dir mal ein paar Akten und marschier’ zu ihr rüber!«
Ich starrte Otto überrascht an. Der Vorschlag hatte was für sich.