Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Donnerstag, 8. Januar 2009

Kommissarin 2 - Kapitel 1

RENÉ UND DIE ZWEI FRAUEN

Kapitel 1

Dieses Jahr sollte ich besser aus dem Kalender streichen. Alles war schiefgelaufen. Dass ich letztes Semester in Verfassungsrecht durchgerasselt war, hatte mir den Rest gegeben. Bei drei weiteren Prüfungen war ich gar nicht mehr angetreten. Das hatte den Ausschlag gegeben. Für ihn, meinen Erzeuger.
Eigentlich war die Einführung der Studiengebühren daran Schuld. Davor hatte ich mich vielleicht zwar nicht gerade als Musterstudent präsentiert, aber es ging so dahin. Mäßig, aber konstant. (Der Alte sah das naturgemäß anders.) Die Bude finanzierte mir mein Alter (es war ohnehin eine abbezahlte Eigentumswohnung, mieser Altbau, wo er den Vormieter rausgeschmissen hatte, nachdem der bereits drei Mal, im Vollrausch, versucht hatte, die Wohnung anzuzünden, weil er mit einer brennenden Tschick eingeduselt war); und den Rest des Lebens organisierte ich mir selbst, mit diversen Mc-Jobs. Ich war die meiste Zeit pleite, außer ich hackelte gerade mehr, da blieb das Studium eben liegen. Wie ich auf Jus mit seienn stockkonservativen Professoren und den biederen Studenten mit Papas Porsche und Omas Villa im neunzehnten Wiener Gemeindebezirk gekommen war, kann ich nicht mehr nachzuvollziehen. Aber es ist auch schon lange her, als ich (wirklich ich?) diese Entscheidung gefällt hatte.
Mit den Studiengebühren änderte sich mein Leben. Ich konnte das Studium nicht mehr selbst finanzieren. Ich hatte überlegt, die Gelegenheit zu nützen und den heiligen Haalen auf Wiedersehen zu sagen. Das allerdings wollte mein Alter nicht. Wir schlossen einen Deal. Er zahlte diese dämlichen Gebühren und gab mir auch so genug Kohle, damit ich (ehrlich gesagt) ganz fein leben konnte; ich musste als Gegenleistung einen »stetigen Studienerfolg« aufweisen. Jedenfalls sollte ich bis zu meinem Dreißiger soweit sein, um Mag. iur. vor meinen Namen schreiben zu dürfen, sonst würde er die Zahlungen einstellen. Für immer. Vier Jahre verblieben mir, als wir diesen Vertrag eingingen.
Ja, ja, ich höre euch sagen: Damit war das Dolce Vita vorbei, jetzt hast dich auf deinen Hintern setzen müssen. Nein, spart euch den Spott. Eigentlich wäre das Leben schöner geworden. Zum einen wurde ich die dämlichen Mc-Jobs los. So lustig war das auch nicht immer: Irgendwann um fünf in der Früh aufkräulen, um halbwegs pünktlich bei der Morgenschicht zu erscheinen, oder wie ein schwachsinniger Clown als Sandwichmann, der für einen Klischee erfüllenden Stadtheurigen wirbt, auf der Kärntner Straße bei über dreißig Grad Hitze auf und ab zu wandern. Zum anderen war ran ans Lernen nicht so übel: Auf einmal entdeckeich, dass das Fach, welches ich als Studium gewählt hatte (oder wählen hatte lassen), im Grunde gar keine schlechte Wahl war. Wenn man mal die Profs, die Burschis aus dem Westen von Wien und die Mädels in den Armani-Kostümchen beiseite lässt. Aber inhaltlich war das manchmal (beinahe) spannend. Außer Gesellschaftsrecht, das hielt ich nicht aus: Den Mist mit den Gesellschaften mit beschränkter (geistiger) Haftung und den vor kapitalistischen Werten nur so triefenden Aktiengesellschaften. Ich weiß schon, dies ist wichtig, für bestimmte Herrschaften: Denn wenn man später in den Aufsichtsräten sitzt, sollte man schon wissen, was die Regeln des Spiels sind, für das man sein Körberlgeld kassiert.
Am interessantesten fand ich Verfassungsrecht. Mir sind Ohren und Augen aufgegangen. He, mir machen die Beamten und die Politiker nichts mehr vor! Ausgerechnet da bin ich durchgerasselt. Ich war spitze vorbereitet – und war nervös wie noch nie in meinem Leben. Das kam vom Büffeln. In der gebührenfreien Zeit bin ich immer bei den Prüfungen lässig angetreten, im Grunde ziemlich blank, trotzdem kam ich öfters durch. Und nun: Verfassungsrecht versaut!
Mein Alter hat gesponnen. Nach unserem Deal war es auf der Uni gut gelaufen, stolz hatte er meinen Studienfortschritt beobachtet. Dass Verfassungsrecht ein Ausrutscher war, wollte er nicht glauben, sonst hätte ich, so seine Argumentation, nicht die anderen Prüfungen geschmissen. Nein, ich wäre, meinte er, wieder in mein altes Luderleben zurückgefallen. Aus, schrie er, er hätte die Schnauze voll. Mist, jetzt wollte aber ich das Studium zu Ende bringen.
Wir stritten fürchterlich. Er ist ein oller Dickschädel. Schließlich erklärte er sich bereit, »mir noch eine Chance zu geben«, wie er gönnerhaft kundtat. Aber das versaute Semester musste ich rückbezahlen. Quasi. Mit einer faden Bürohacken. Die er für mich organisiert hatte.
Mein Alter hatte es sich wunderbar ausgedacht. Zu einem dieser Oberheinis meiner neuen Dienststelle pflegte er seit Bundesheerzeiten regelmäßigen, feucht-fröhlichen Kontakt. Damit hatte er die soziale Kontrolle über seinen nichtsnutzigen Sohn gewährleistet. Mit seinem Haberer hatte er auch meine besonderen Arbeitszeitregelungen vereinbart. Ich sollte Teilzeit arbeiten, vier Tage in der Woche (Mittwoch frei), insgesamt 24 Wochenstunden, vormittags, damit ich nicht weiterhin das Studium vernachlässige. Ich kam mir auf einen Status eines Kleinkindes reduziert vor.
Ihr wollt wissen, wo er mich untergebracht hatte. Ich wage es kaum zu verraten. Bei der Polizei. Kann sich das wer vorstellen? War eine zusätzliche Schikane von ihm. »Weust di immer auf die Demos rumtreibst«, hatte er gemeint. Vielleicht hatte er gehofft, dass ich mein Herz für die Kieberei entdecke. Oder deren Effizienz anerkenne.
Sorry, falls er letzeres bezwecken wollte, hatte er die falsche Abteilung für mich aussuchen lassen. Sie hatten mich in die Kopierstraße gesteckt. Großartiger Job. Nicht neu für mich, ich hatte früher schon mal in einem Copy Shop gearbeitet. Gegenüber der Uni. Da war aber ein anderes Publikum aufgekreuzt. Ständig war damals was los. Mein selbstgewählter Job im Copy-Shop war ja ganz okay, viele Mädels, die kamen. Die polizeiliche Kopierstraße, die war das Gegenteil davon (Warum die so hieß, weiß ich nicht – wenn auf einer Straße Autos in einem solchen Tempo schlichen, gäbe es eine Massenkarambolage von Wien nach Bregenz!) Ich sag’s euch! Wenn sich dort an einem Tag drei Angestellte blicken ließen, wurde ein neuer Rekord aufgestellt! Meist zeigten sich nur gespreizte Sekretärinnen. Die jedoch dort unten (der Raum lag beinahe im Keller: von den vorbeigehenden Passantinnen auf der Straße sah man gerade die in Schuhen gequälten Füße und Beine bis zum Rockansatz) auf Granit bissen. Eine interessante Sozialstudie, wer in der Kopierstraße arbeitete: Ein Mundl wirkte wie ein Menschenfreund neben meinen Hackler-Kollegen im Keller. Auf den ersten Blick. Im Grunde waren sie, stellte ich nach einiger Zeit überrascht fest, ganz umgänglich, solange man sie nicht mit Arbeit belästigte. Oder sich nicht über die Volksmusik aufregte, die den ganzen Tag in unerträglicher Lautstärke plärrte, um die Maschinen übertönen. Und bei ihren tiefen – ich geb’s zu, frauenfeindlichen Witzen – mitlachte.
Ich hatte mich bereits darauf eingestellt, das Semester im Keller zu verbringen. Nach zwei Wochen Misstrauen, während deren sich die beiden Bediensteten weigerten, mit mir (»an gstopften Studierten«) zu sprechen oder mir eine Aufgabe zu übertragen, beschlossen sie plötzlich mich einzuschulen. Ich wurde für die Kopierstraße verantwortlich. Konkret von zehn bis dreizehn Uhr (außer Mittwoch, da hatte ich frei). Denn zu der Zeit gingen meine Kollegen auf Pause, getreu ihrer Tradition, die sie wegen meines Erscheinens (ein Spitzel von oben?) zehn Tage lang ausgesetzt hatten. Zunächst Frühstücken im Kaffeehaus, dann Mittagessen in der Kantine und als Abschluss noch auf einen Spritzer im Beisl eine Straße weiter. Währenddessen hielten sie die Kopierstraße geschlossen (die Maschinen liefen, soweit voreinstellbar, ohnehin weiter), draußen hatten sie ein selbst gebasteltes Schild aus Karton »No Parteienverkehr« ausgehängt. Sie hatten jedes Recht auf die Auszeit, fanden sie, schließlich begannen sie schon um sechs Uhr in der Früh zu hackeln. Wenn es die Bürotussies nicht schafften, bei ihnen vor zehn Uhr vorbeizuschauen beziehungsweise zwischen eins und zwei (da saßen die feinen Damen beim Frisör, waren meine neuen Kollegen überzeugt), dann wäre das deren Pech.
In Wahrheit hatte ich es mit der Kopierstraße recht gut getroffen. Wir vertrauten einander. Keiner würde dem anderen ein Hakel ins Kreuz hauen. Ich gab ihnen die Stempelkarte, damit sie um acht in der Früh für mich einstachen, tatsächlich tauchte ich erst kurz vor zehn Uhr auf. Nachdem sie sich vertschüßt hatten, übernahm ich den Laden: Ich stellte das plärrende Radio ab, überwachte ein wenig die Maschinen und verbrachte in dem unwirtlichen Keller einen durchaus gemütlichen Vormittag. Ich musste lediglich den Auftrag beachten, die Arbeiten nicht zu schnell zu erledigen. »Wennst was zu schnöl machst, wolln’s ima mehr«, kannten meine Kollegen die Weisheiten, die sie fürs (angenehme) Überleben als wichtig erachteten. Also gönnte ich den Maschinen zwischendurch bewusst eine halbe, dreiviertel Stunde Pause. Nach der Rückkehr meiner Kollegen um ein Uhr leistete ich ihnen noch eine Weile Gesellschaft; wir plauschten, tranken ein Achtel, spielten Karten. Pünktlich um Punkt zehn vor zwei Uhr machten wir den Laden dicht.
Warum nur bin ich von dort weggegangen?