Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Donnerstag, 26. Februar 2009

Kommissarin 20 - Zwischenkapitel

Liebe Sane!
Eigentlich ist das, was du abgeliefert hast, eine Themenverfehlung in Reinform. Du weißt, wie sich dies im klassischen Schulnotensystem, auf das ich bewusst verzichte, ausdrücken würde.
Die Aufgabe lautete: Ein modernes Märchen. Unter Beachtung folgender drei Zusatzpunkte: 1. Verwendung einer vorhandenen Märchenfigur bzw. eines Märchenmotivs 2. Die Moral aus der Gschicht’ zu ziehen. 3. Ein Happy-End.
Punkt eins: Du hast das bewährte Aschenputtel zur Protagonistin deiner Erzählung gemacht. Ein modernes Aschenputtel, Studentin der Betriebswirtschaftslehre, das sich des Nächtens durch die Clubbings von Wien tanzt, auf der Suche nach Liebe, Anerkennung und dem Sinn des Lebens. Es entspricht leider nur nicht der Vorlage, in der ein armes und diskriminiertes Mädchen skizziert wird, da deine Studentin durchaus sozial und ökonomisch abgesichert ist. Auch die Außenseiter-Rolle des ursprünglichen Aschenputtels ist in deiner Erzählung in keiner Weise berücksichtigt, da deine Protagonistin voll im Studentinnenleben integriert ist und sogar häufig den Mittelpunkt von Gesellschaften bildet. Welche Rolle sollte dem Prinzen, der im Original das Aschenputtel aus seiner benachteiligten Situation befreit, zukommen? Deine Neuinterpretation, in der das Aschenputtel unbedingt einen Typen haben will, dieser aber ihr Interesse nicht erwidert, hat mehr als mit der Bewältigung einer persönlichen Erfahrung oder einer Beobachtung im Freundeskreis zu tun, als mit einer stringenten Bearbeitung der Märchenvorlage.
Punkt zwei: Das gewählte Setting bedingt geradezu den weiteren Verlauf der Geschichte, die schließlich in der peinlichen Szene endet, in der dein Aschenputtel entdeckt, dass sich ihr Schwarm nicht für sie, sondern für eine andere Frau interessiert, die ihm Karrieremöglichkeiten eröffnet. In diesem Sinne hast du immerhin eine »Moral« niedergeschrieben, nämlich, dass sich Menschen mehr um sich und ihr eigenes Wohlergehen kümmern als um ihre Mitmenschen.
Punkt drei: Das größte Manko an deiner Geschichte ist das fehlende Happy-End, das ich explizit eingefordert habe. Als Schriftstellerin wirst du nicht herumkommen, Auftragsarbeiten annehmen zu müssen, und wenn eine Science Fiction-Story gefordert wird, kannst du keine romantische Liebesgeschichte an einem mittelalterlichen Hof einreichen.
Falls du die Geschichte neu, entsprechend meiner Anweisungen, schreiben willst und sie mir spätestens bis zur nächsten Kursstunde abgibst, bin ich bereit, die revidierte Arbeit nochmals durchzusehen und zu bewerten.
Ich bedauere zutiefst, dass dein ursprünglicher Eifer rapid nachgelassen hat, und hoffe, dass trotz deiner Entwicklung in letzter Zeit die missglückte Märchenbearbeitung nur ein Ausrutscher war.
Gruß, B. Keuler

Samstag, 21. Februar 2009

Kommissarin 19 - Kapitel 5

Ich ließ mich in den bequemen Lehnstuhl plumpsen. Da ließ es sich schon aushalten. Ich schaltete den Computer ein. Mal schauen, was das Internet bot. Vielleicht gab es Spiele am PC. Oder ich entdeckte Pornos auf dem Polizeidienstgerät?
Während der Computer hochfuhr, durchkramte ich die nicht-abgesperrten Laden des Schreibtisches. Sieh an, eine noch ungeöffnete Bonboniere. Ungeduldig riss ich das Zellophanpapier herunter. Der Abend schien doch noch gerettet.
Ich war in eine Patience vertieft, als ich Stimmen hörte. Mist! Im Vorzimmer ging das Licht an. Mir blieb keine Zeit, den Computer abzuschalten oder wenigstens in den Ruhezustand zu versetzen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich die Schreibtischlampe abdrehen und unter den Tisch schlüpfen.
Eine kichernde Frauenstimme. Klang sehr jung. O je! Ich ahnte, wer die Besucher wären. Ein Paar, das einen einsamen Ort suchte. Ich befürchtete, Zeugin zu werden … Hoffentlich blieben sie im Vorzimmer.
Jetzt sprach der Mann. Er machte der Frau Komplimente. Ich konnte seine Stimme deutlich wahrnehmen. Mir blieb das Herz im Hals stecken. Das war doch René! Nein, das durfte nicht wahr sein. René und die Kommissarin!
Vorsichtig hob ich den Kopf und spähte über die Schreibtischkante ins Vorzimmer. Was ich da sah, gefiel mir überhaupt nicht: Es war der René. Er klebte an einer Frau, so eng wie sich der Badewaschel beim Tanzen an mich gepresst hatte. Aber seine Begleiterin war nicht die Kommissarin. Sondern ein junges Dirndl, höchstens halb so schwer wie die Breugel. Was trieb er nur mit ihr? Hatte ich den René so falsch eingeschätzt?
»Du hast wirklich Zugang?« Er gab sich beeindruckt. Wie plump!
Das Mädchen erklärte stolz, auf alle Personalakten zugreifen zu können.
»Echt? Zeigst du mir das?«
Er solle eine Person nennen, schlug das Mädchen vor.
Die Wahl, die René traf, überraschte mich nit. »Weißt du«, erklärte er dem Mädchen, »ich gebe die Fälle ein, welche die Kommissarin gelöst hat.«
»Dazu müssen wir in ein anderes Zimmer gehen. Durch das vom Chef durch.« Das Mädchen drehte bereits das Licht in »meinem« Raum auf. Ich machte mich unter dem Schreibtisch klein.
»Da war wer!« rief René überrascht aus. Richtig, der leuchtende Bildschirm und die geöffnete Bonboniere verrieten meine Präsenz.
Das Mädchen bekam es mit der Angst zu tun. »Nichts wie weg!« Ich erlebte in meinem Versteck richtiggehend mit, wie sie ihn aus dem Zimmer zerrte.
René weigerte sich. »Nein, nicht doch. Das waren nur zwei, die hatten sich gern. So wie wir.« Seine Stimme schmeichelte. So hatte er sich mir gegenüber nie verhalten. (Würde ich mir aber auch verbieten.) »Die sind längst weg. Haben sich wahrscheinlich verjagen lassen. Wir bleiben. Du zeigst mir das, und dann …« Er lockte. Vergeblich. Das Mädchen ließ sich nicht darauf ein: »Ich möchte keine Schwierigkeiten bekommen. Es war so schwer, die Lehrstelle zu erhaschen …«
René gab nach. Seufzend, wie ich mir einbildete. »Na, wenn du dich wohler fühlst. Wir finden sicher ein anderes Plätzchen, wo …« Die Schritte und Stimmen entfernten sich.
Wütend kroch ich hervor. Ich schaltete wieder die Schreibtischlampe an, öffnete das Word, tipppte »René war hier« und schmiss die halbleere Bonboniere in einen Mistkübel, der mit »Nur für Papier« beschriftet war. Ohne Computer oder Licht abzudrehen, verließ ich den Raum.
Dass sich das Gschnas dermaßen fatal entwickeln würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Albträumen nicht ausgemalt. Beleidigt schlich ich die Stiegen hinunter und schaffte es (allerdings zu dem Preis, meine Jacke in der Garderobe hängen zu lassen), mich unbemerkt aus dem Gebäude zu stehlen.

Freitag, 20. Februar 2009

Komissarin 18 - Kapitel 5

Dennoch hatte ich, als mich René fragte, ob ich mit ihm zum Festl ginge (»Es ist auch ein Dienstag und kein Mittwoch!«, hatte er es nicht lassen können hinzuzufügen), nicht sofort abgelehnt: »Na, ich weiß nicht recht.« Als mir bewusst wurde, dass René auf jeden Fall auf dem Gschnas herumtanzen würde, sagte ich ihm zu, ihn zu begleiten. Begleiten: ha ha! Anfangs hockte er bei der Partie meiner Mutter und seiner Aufpasserin, der Steiner, und ich konnte ihn nur mit Tricks loseisen und auf die Tanzfläche zerren. Dort hielt es ihn jedoch nicht lange. Ich erfuhr schließlich den Grund für seine Ungeduld: Er erwartete die Kommissarin, die ihr Kommen angekündigt hatte. »Ich kenne sie noch nicht«, hatte er mir eifrig erklärt, »und Frau Steiner hat versprochen, sie mir vorzustellen.« War er nicht ganz dicht? Ich verstand beim besten Willen nicht, was so Besonderes an der Kommissarin wäre. Lapidar bekam ich zur Antwort, dass er die Frau, mit deren Akten er zu tun hatte, gerne persönlich kennenlernen wollte. Hatte er zuviel Polizeimief geschnüffelt, oder was? Irgendwas in meinem Inneren warnte mich allerdings, dass René nicht auf dem Weg zur völligen Vertrottelung war, sondern dass hinter dieser kommissärischen Geschichte was anderes steckte. Was er mir aber nicht verraten wollte.
Endlich war die von René sehnsüchtig Erwartete aufgetaucht. Über unseren Köpfen (wir saßen an dem Tisch der »Archivdamen«) erschallte plötzlich eine fröhliche Stimme: »Seid herzlich gegrüßt, meine lieben Kolleginnen!« Wie eine Diva lächelte sie huldvoll zu uns herab. Dabei hatte sie keinerlei Grund für ihr gönnerhaftes Gehabe: Im Vergleich zu ihr war mein Auftritt auf dem Gschnas vor neun Jahren harmlos ausgefallen: Sie war bemalt, als wäre sie in einen Farbtiegel gefallen, und an ihr baumelten und klimperten unzählige Klunker, die das Label »Modeschmuck« mehr als auffällig zur Schau stellten. Kommissarin Breugel war extrem ausgefressen (mit ihrem Leibesumfang brachte sie sicher an die hundert Kilo oder über auf die Waage), und steckte in altmodischen Klamotten (Verkleidung für das Gschnas, oder als gepflegtes Ausgehkleid?): ein schwarzes Kleid, mit lauter Spitzen, wie eine trauernde Mamma in einer italienischen Oper. Ein schwarzes Spitzenhäubchen hatte sie auf ihre mausbraunen Locken in unpassender Fünziger-Jahre-Frisur gedrückt.
Ich war fassungslos. Meine Mutter und ihre Damen, die diese verrückte Schachtel schon kannten, konnten nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken. Doch René starrte die Witzfigur fasziniert an. Nach dem Austausch einiger Banalitäten forderte er sie glatt zum Tanz auf!
Da reichte es mir, und ich ging meinen ersten Drink holen. Der Mann in der Badehose (sollte das sein Kostüm darstellen?), der fadisiert an der Bar hockte, sprach mich an. Einer dieser öden Typen, die glauben, attraktiv ist gleich blöd, und sich daher im Glauben sicher fühlen, dass sie nicht mit einem höheren Niveau als ihrem eigenen rechnen müssen. Normalerweise hätte ich einen solchen Trottel beinhart abgewiesen; da er jedoch an Aussehen ausglich, was ihm beim Hirn fehlte, ließ ich mich anmachen. Ich überredete ihn, in den Tanzsaal zurückzukehren. Er ging mir ziemlich am Wecker bei der Schunkelei, aber ich hoffte, René würde es bemerken und eifersüchtig reagieren. Aber nichts da! Er hatte nur Augen für die Kommissarin, redete ständig auf sie ein. Sollte ich allen Ernstes mit dieser Vogelscheuche in Konkurrenz treten?
Endlich hörten sie auf zu tanzen. Ich dachte, sie wünschte zum Tisch zurückzukehren, aber er schien sie überredet zu haben, die Halle zu verlassen. Wollte er »seine« Kommissarin nicht mit den Archivdamen teilen? Mich hatte René in keinster Weise beachtet.
Ich war sauer. Nachdem René verschwunden war, erledigte ich mich rasch meines stumpfsinnigen Beaus (nicht ohne einen verstohlenen Blick auf seine Badehose geworfen zu haben) und eilte von dannen. Zeit für den zweiten Margherita. Wer saß da an einem der runden Tischchen in der improvisierten Bar? Richtig. Erhobenen Hauptes, ohne René und seine Kommissarin eines Blickes zu würdigen, zischte ich an ihnen vorbei. Mit dem Drink verzog ich mich auf die Toilette und grübelte über mein Schicksal.
Als ich den nächsten Margherita orderte, hatte zwar das ungleiche Paar die Bar verlassen, dafür lief mir meine Mutter über den Weg. Zu meinem eigenen Ärger konnte ich es nicht lassen, nach René Ausschau zu halten. Im Tanzsaal war er auch nicht. Ich überwand mich und suchte den »Archivtisch« auf. Zum Glück war meine hochverehrte Mutter gerade nicht präsent.
»Wo ist denn der René?« erkundigte ich mich in möglichst harmlosem Ton.
Die Damen wussten Bescheid: Die Diva wollte das Fest verlassen, und René hatte sie hinaus begleitet, um ihr ein Taxi zu rufen.
»Ja, Sandra«, kicherte die Meier, eine besonders schwachsinnige Kollegin meiner Mutter, »der René kümmert sich angeregt um die Breugel. Da musst du aufpassen!« Und der Steiner fiel nichts Besseres ein, als stolz hinzuzufügen, dass dies ihr Verdienst wäre. Schließlich wäre es ihre Idee gewesen, dem René die KB-Akten zu überlassen. »Hätte mir nicht gedacht, dass unser Praktikant sich so sehr dafür interessieren würde.«
Ich auch nicht. »Ich geh’ mal wieder«, murmelte ich und entfernte mich rasch. Ich wollte mich unsichtbar machen und verkriechen. Die Toilette bildete leider keinen idealen Rückzugsort.
Langsam erklomm ich die Stiegen. Im ersten Stock schien alles ruhig. Der Gang düster, nur spärlich mit Niedrig-Volt-Lampen beleuchtet. Ich probierte die Türen aus. Alle verschlossen. Zur Not musste ich mich auf den Boden im Gang setzen.
Schließlich (ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben) ließ sich eine Tür öffnen. Ein kleines Vorzimmer, typischer Arbeitsplatz einer Sekretärin. In dem Raum befand sich eine weitere Tür. Richtig. Sie führte in das weitläufige Zimmer eines Chefs.

Mittwoch, 18. Februar 2009

Kommissarin 17 - Kapitel 5

SANDRAS GEHEIMNIS
Kapitel 5

»Noch einen Margherita, bitte!«
Ungeduldig wartete ich, während der Drink zubereitet wurde. Bei dieser Veranstaltung, die scheinbar unter dem Motto Nieten-hoch-zwei zu stehen schien, konnte frau sich nur besaufen.
»Sandra, hattest du nicht schon einige Tequilas?«
Vorwurfsvoller mütterlicher Ton. Und ich war so schlecht drauf, dass es mir nicht mehr gelang, ein »Rutsch mir den Buckel runter!« zu denken und sie mit charmantem Lächeln abzuservieren.
»Danke!« Erleichtert griff ich nach dem Drink, schob den Schein und die zwei Münzen hinüber und trat die Flucht an.
»Sandra, du sollst nicht…«
Ich spürte meine Häarchen auf der Haut sich regelrecht aufstellen, gleich den Stacheln eines Igels. In mir zog sich alles zusammen.
Das hatte ich notwendig, mit der eigenen Mutter ein Festl zu besuchen. Warum nur hatte ich mich darauf eingelassen?
Die Antwort kannte ich leider allzu gut. René. Dieser trottelige Student, der mir (zumindestens anfangs, als er mir nichts bedeutet hatte) wie ein Hündchen nachgelaufen war. Irgendwie taugte mir das. Es war richtiggehend spannend, auszugehen und nicht zu wissen, ob ich ihn in einem Lokal »zufällig« träfe. Weil er stundenlang auf mich gewartet hatte.
Natürlich hatte es mich geärgert, als mich Barbara und Cindy, meine Freundinnen, mit ihm aufzogen. Zunächst. Bis ich merkte, dass sie eigentlich nur neidisch waren.
Nein, der Kerl war gar nicht so übel. Er war auch keineswegs ein solcher Tölpel, wie ich im ersten Moment geglaubt hatte. Dass er bei der Polizei gelandet war, was ja alles andere als eine Auszeichnung bedeutete, konnte ich inzwischen verstehen. Weil ihn sein Dad unter Druck gesetzt hatte. Okay, da hätte ich mich auch auf den Deal eingelassen.
Nur seine Eifersucht ging mir auf den Keks. Nein, nicht wirklich. Im Grunde freute mich seine Aufmerksamkeit. Sie tat mir gut. Außer wenn er mir zusetzte. Meine Geschichtln nicht mehr schluckte. Er hatte entdeckt, dass ich am Mittwoch Abend nicht auf die Uni ging. Wenn er so weitermachte, fand er womöglich noch heraus, was ich in Wahrheit machte. Und das ging ihn absolut nichts an. Ich hatte niemandem davon erzählt. Nicht einmal Barbara oder Cindy. Das heißt, bei Barbara war ich schon nahe dran gewesen, aber dann hatte ich bemerkt, dass sie mit ihren Gedanken woanders war … Dazu ist mir die Sache viel zu ernst. Besser schweigen.
Ich gebe es zu: Ich bin gewohnt, meine Umwelt nach meiner Pfeife tanzen zu lassen. Angefangen von meiner Mutter über meine Freunde bis hin zu den Professoren. Mein Aussehen hilft mir dabei, zweifelsohne. Aber ohne Hirn und Psychologie läuft gar nichts. Ich habe den Umgang mit den Mitmenschen im Laufe der Jahre perfektioniert und hielt mich bereits für eine Meisterin.
Doch in letzter Zeit lief alles schief. Genau dort, wo mir etwas sehr am Herzen lag, versagte meine Wunderwaffe Manipulation. Nicht nur, dass ich die Keuler nicht um den Finger wickeln konnte, auch der René beschritt auf einmal eigene Wege.
Ich dumme Gans dachte, wegen mir wäre er zum Geriatriezentrum am Wienerberg gefahren! Um mich abzuholen. War mir zwar nicht recht, weil ich befürchtete, er könnte erfahren, was ich dort zu tun hatte. Die Geschichte mit dem Psychologie-Seminar (oder hatte ich Soziologie gesagt?) hatte er nicht geschluckt. Aber der Grund seines Besuchs bei den Oldies war – hatte ich inzwischen gecheckt – tatsächlich diese Schmalbaum (und nicht ich!). Vielleicht hatte er es zeitlich so gelegt, dass er mich träfe. Die Schmalbaum stellte jedoch sein primäres Ziel dar. Beziehungsweise sein mittelbares, denn in Wirklichkeit ging es um diese Kommissarin Breugel.
Je mehr sich René für die Kommissarin interessierte, umso bewusster wurde mir, wie sehr ich auf den Kerl stand. Hatte er sich womöglich schon mit der Kommissarin getroffen? Sie konnte doch gar nicht sein Typ sein, die war locker zehn Jahre älter als er, hatte ich in Erfahrung gebracht.
Die elendige Kommissarin ruinierte auch diesen Abend, ärgerte ich mich, während ich mit meinem Margherita etwas verloren bei der Tür stand und dem peinlichen Gehopse auf der improvisierten Tanzfläche zusah. Ich hatte völlig verdrängt, wie lächerlich diese Veranstaltung war. Jedes Jahr fand am elften November ein polizeiliches Gschnas statt, um den offiziellen Beginn des Faschings einzuläuten. Als Räumlichkeit wurde das Gebäude, in dem meine Mutter »arbeitete« (sagen wir: beschäftigt war), gewählt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tauchten in den unmöglichsten Kostümen auf: die Farbe Grün (bedingt durch die Amtszugehörigkeit zur Polizei?) war besonders beliebt, zahlreiche Männer waren als Jäger verkleidet und missbrauchten die Gelegenheit, um, in Knickerbocker, ohne Socken gekleidet, ihre weißen, dünnen Wadeln dem Publikum zu präsentieren. Andere wollten einmal von der Täterseite in die Rolle des Gejagten wechseln: ein Hirsch mit einem mächtigen Geweih, ein Hase und ein Bär waren diesmal vertreten. Ich war mir nicht sicher, ob nicht manche das Gschnas mit dem Jägerball verwechselt hatten.
Es war noch nicht einmal spät, aber die Gäste wirkten völlig überdreht. Kein Wunder angesichts dieses Alkoholkonsums! Bier war frei. In der Halle prunkte ein Riesenfass: Jeder konnte sich nach Belieben bedienen. Unter dem Zapfhahn hatte sich bereits eine widerliche Lacke gebildet. Der Alk wirkte: Die würdigen Polizeibeamten grölten und stampften auf der Tanzfläche herum, einige hatten sich in ein Eck zurückgezogen und ließen den Kopf hängen. Wer in knappem Abstand vorbeiging, bekam genüßliches Grunzen zu hören.
Eigentlich hätte ich wissen müssen, worauf ich mich einließ. Schließlich hatte ich vor vielen Jahren, als mein Vater noch lebte und meine Mutter als Abteilungsleiter-Gattin einen hohen Rang in der Polizeihierarchie einnahm, schon einmal dieses Fest der Lächerlichkeiten besucht. Es war nicht anders abgelaufen; den Hirschen mit dem Geweih-Hut hatte, meinte ich mich zu erinnern, ich schon damals gesehen. In dem Alter hatte mir das Gschnas ungeheuer viel bedeutet, und ich hatte enorm viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt. Ich kam zwar nicht verkleidet, dafür geschminkt und herausgeputzt, dass ich (hatte ich mir eingebildet) glatt als Zwanzigjährige durchgehen würde. In der Realität war ich einfach eine naive, lächerlich bemalte Dreizehnjährige, um die sich ein paar junge Männer kümmerten, weil, wie ich später erfahren sollte, mein Vater, der mächtige Boss, vor dem sich alle fürchteten, sie damit beauftragt hatte.
Ein Grund mehr, diese Veranstaltung für immer und ewig zu meiden.

Montag, 16. Februar 2009

Kommissarin 16 - Zwischenkapitel

Akte II-1962.RBA 23.691-9435, Post Kirchberg a.d.Kr.
Bewertung
Nach eingehender Prüfung des Falles unterstütze ich die nicht weiter verfolgte Hypothese, dass Herr Karl (»Charly«) Wittinger den Raubüberfall auf die Post in Kirchberg a.d.Kr. begangen hat.
Am 1. Juni 1962 wurde die Post in Kirchberg a.d.Kr. von einem, wie es schien, bewaffneten Täter überfallen. Es wurden 320 Schilling erbeutet. Der Täter, der ein Zoro-Kostüm trug und dessen Gesicht hinter einer Maske versteckt war, konnte unbeschadet mit einem Motorrad fliehen. Bei dem Überfall selbst wurde niemand verletzt; bei der Flucht missachtete der Posträuber die Verkehrsvorschriften und raste bei Rot über sämtliche (in Summe drei) Kreuzungen von Kirchberg. Fräulein Maria Reiher, die gerade die Straße überqueren wollte, sprang zurück und verknöchelte sich. Sie musste eine Woche lang den Fuß hoch gelagert halten; sie war das einzige Opfer des Überfalls, das zu Schaden kam. Die Pistole wurde drei Straßen weiter gefunden; es handelte sich um eine Wasserspritzpistole für Kinder.
Bald manifestierte sich der Verdacht, dass Herr Karl Wittinger, »Charly« genannt, Jahrgang 1942, der gesuchte Posträuber sein könnte. Zum einen trug er im gleichen Jahr am Faschingsball in der Pfarre ein Zoro-Kostüm, zum anderen bemerkte Fräulein Reiher beim Fluchtfahrzeug die Ähnlichkeit mit dem Motorrad des Herrn Wittinger.
Herr Wittinger gab allerdings an, zur fraglichen Zeit (der Überfall fand um neun Uhr sieben statt) bei einem Kunden in dessen Haus (etwa 40 Kilometer von Kirchberg entfernt) gearbeitet zu haben (Herr Wittinger ist Installateur). Das Alibi wurde geprüft und bestätigt. Herr Wittinger war von acht Uhr dreißig bis zirka Mittag bei Herrn Doktor Ernst und Frau Erika Radebrecht; letztere bestätigte seine durchgängige Präsenz im Haus. An der Aussage der Gattin des Herrn Doktor Radebrecht, eines bekannten Tierarztes und Präsidenten der regionalen Tierärztekammer, wurde nicht gezweifelt, weil deren Ehrenhaftigkeit außer Frage steht. Allerdings wunderte sich Frau Radebrecht, warum der Installateur bereits um halb neun erschien, obwohl er für neun Uhr bestellt war. Außerdem legte er eine derart miserable Arbeit vor, dass er eine Woche später wiederkommen musste. Verdächtig weiters: Herr Wittinger weigerte sich, Herrn Doktor Radebrechts Ankunft zu Mittag abzuwarten, der auf Anraten der Tierarztgattin das riesige Muttermal auf seiner rechten Wange untersuchen sollte.
Auffällig war darüber hinaus, dass Herr Alfred Kohlbauer, als »bester Kumpel« vom Charly ortsbekannt, am Tag des Überfalls an seinem Arbeitsplatz in der Post fehlte. Es bestand die Überlegung, ob hier Komplizenschaft bestünde oder ob gar Herr Kohlbauer, im Kostüm seines Freundes und mit dessen Motorrad, den Überfall begangen hätte. Herr Kohlbauer wurde aber von der Liste der Verdächtigen gestrichen, weil der Posträuber laut und deutlich bei dem Überfall herum geschrien hatte – eine Leistung, die niemand in Kirchberg Herrn Kohlbauer, einem berüchtigten Stotterer, zugetraut hätte.
Die Untersuchungen konzentrierten sich auf den Verdächtigen Karl Wittinger. Da ihm aber nichts nachgewiesen werden konnte, wurden die Ermittlungen schließlich eingestellt. Karl Wittinger kam 1967 bei einem Motorradunfall ums Leben.
Als Kommissarin zur Aufklärung ungelöster Fälle erlaubte ich mir, meiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen, dass die Akte II-1962.RBA 23.691-9435, Post Kirchberg a.d.Kr. meiner Abteilung zur Bearbeitung übermittelt wurde, obwohl dieser Fall als abgeschlossen gilt. Da meine diesbezüglichen Anfragen bei meinem Vorgesetzten, Herrn Oberstudienrat a. D. DDr. Schleicher (Schreiben vom 12. Dezember 1996; Zl. 3-1996/II-1962.RBA 23.691-943; Schreiben vom 4. Februar 1997, Zl. 4-1997/II-1962.RBA 23.691-943; Vorzl. 3-1996/II-1962.RBA 23.691-943; Schreiben vom 13. April 1997, 7-1997/II-1962.RBA 23.691-943; Schreiben vom 5. März 2000, 17-2000/II-1962.RBA 23.691-943) auch von Seiten seines Nachfolgers unbeantwortet blieben, habe ich die Zuweisung der Akte als Arbeitsauftrag verstanden, den Fall wieder aufzurollen.
Ich vertrete die Hypothese, dass Herr Karl Wittinger am 1. Juni 1964 den Überfall auf die Post in Kirchberg a.d.Kr. begangen hat. Sein Komplize Alfred Kohlbauer hat ihm inzwischen mit der (unprofessionell ausgeführten) Installateursarbeit bei der entfernt wohnenden Tierarztgattin ein Alibi verschafft. Er hatte sich ein großes Muttermal, das unverkennbare Merkmal seines Freundes, im Gesicht befestigt (es wäre zu klären, woher er das Utensil hatte). Eine Rückfrage bei der verwitweten Frau Erika Radebrecht am 15. September 2000 (siehe beiliegendes Protokoll, Anhang 5) ergab, dass es weder zu einer Gegenüberstellung mit dem »echten« Karl Wittinger gekommen war noch ihr ein Foto des Verdächtigen vorgelegt worden war. Weiters gab sie, als ich bezüglich etwaiger Besonderheiten hinsichtlich der Sprechweise des Installateurs nachfragte, mir gegenüber zu Protokoll, dass der angebliche Herr Wittinger kaum ein Wort von sich gegeben hätte. Ob er gestottert hätte, konnte sie sich nicht mehr erinnern.
Seitens der Abteilung für die Aufklärung ungelöster Fälle wurden entsprechende Vorarbeiten zur strafrechtlichen Verfolgung geleistet. Der Verdächtige Karl Wittinger kann nicht mehr gerichtlich belangt werden; eine etwaige Komplizenschaft von Alfred Kohlbauer wäre noch zu klären. Die aktuelle Adresse von Herrn Alfred Kohlbauer ist aktenkundig (siehe Anhang 9).
In meiner Funktion als Leiterin der Abteilung für die Aufklärung ungelöster Fälle ersuche ich für den Fall II-1962.RBA 23.691-9435, Post Kirchberg a.d.Kr. auf Grund der von mir hier vorgelegten Hypothese um Bewilligung der Fortsetzung der Ermittlungen (Verhör von Herrn Alfred Kohlbauer) unter der Voraussetzung der Bereitstellung entsprechender personeller Ressourcen.
Im Falle einer negativen Entscheidung beziehungsweise einer ausbleibenden Kundmachung derselben bis spätestens 5. Februar 2004 soll die Akte II-1962.RBA 23.691-9435, Post Kirchberg a.d.Kr. (endlich) geschlossen und aktenmäßig erfasst und archiviert werden.
Wien, am 5. November 2003 Kommissarin K. Breugel

Samstag, 7. Februar 2009

Kommissarin 15 - Kapitel 4

Es war schlimmer als vor einer Prüfung – ich meine, vor einer, die ich ernst nahm. Mit Entsetzen erinnerte ich mich, wie ich selbst gegenüber der sportlich ambitionierten Hausbewohnerin herum gestottert hatte. Die war mir übrigens nicht mehr über den Weg gelaufen: Hatte ich unten doch mehr Zeit vertrödelt, als ich gedacht hatte!
»Ich bin doch nicht hergekommen, um unverrichteter Dinge wieder zu gehen«, sprach ich mir selbst Mut zu, atmete tief durch und drückte auf die Klingel. »Was wollen Sie?« knarrte eine alt klingende, misstrauische Stimme aus einer Sprechanlage, die – versteckt positioniert – ich zuvor nicht bemerkt hatte.
Ich nannte meinen Namen, erklärte, dass ich von Frau Steiner käme. Die Tür wurde geöffnet.
Ich betrat einen lang gezogenen Vorraum, der in ein düsteres Zimmer führte. Klassisch eine Wohnung, die mehr schlecht als recht in ein Büro umgewandelt worden war.
In dem dunklen Kämmerchen hockte eine ältere Frau in einem furchtbar altmodischen Strickkostüm und mit einer noch schrecklicheren Frisur, bei der sie ihre grauen Strähnen zu einem Knödel hochgesteckt hatte. Auf der Nase drückte, wie konnte es anders sein, eine Brille in Krankenkassenfassung. Am liebsten hätte ich ein Staubtuch ergriffen und es an ihr (wahrscheinlich ohnehin erfolglos) angewandt.
So alt hatte ich mir die KB nicht vorgestellt. Wäre sie nicht so um die vierzig? Vielleicht war diese Frau auch gar nicht so alt, wie sie vorgab, schoss mir durch den Kopf, sie wirkte bloß so, weil sie dermaßen altfaderisch auftrat. Schade, dass das Licht in dem Raum miserabel war. Kein Wunder, dass sie eine Brille benötigte. Der Computer in der Ecke mit der grünen Schrift auf schwarzem Grund tat sein Übriges.
»Was wollen Sie?« Selbst ohne Verzerrung durch die Sprechanlage ratterte die Stimme wie ein absterbendes Motorrad.
Trotzdem: Irgendwie hatte ich den Eindruck, die Stimme schon gehört zu haben. Auch die Frau kam mir seltsam bekannt vor. Andererseits, wäre ich je auf so ein Original gestoßen, hätte ich das sicher nicht vergessen.
Verwirrt sagte ich nochmals mein Sprüchlein auf.
Die Alte unterbrach mich scharf: »Haben Sie einen Termin bei Frau Kommissar Breugel?« Witzig, die sprach von sich selbst in der dritten Person.
»Nein, ich dachte, ich könnte so …« Bei der werden sich ja nicht gerade die Leute anstellen, wozu also Terminvereinbarung?
»Das ist schade.« Die Hexe bemühte sich, Bedauern in die Antwort zu legen, was aber in keinster Weise glaubwürdig wirkte. »Frau Kommissar Breugel ist nicht da. Sie ist unterwegs, in ihren Ermittlungen.«
Ach so, das war gar nicht die KB. Erleichterung erfasste mich. Irgendwie hätte das auch nicht gepasst, diese alte Schachtel und die spitze Feder der Kommissarin.
»Kann ich auf sie warten?«
»Haben Sie Ihr Feldbett mit, junger Mann?« Sie lachte scheppernd. Wollte ihren Humor wohl unter Beweis stellen. Sie erklärte mir, dass »Frau Kommissar« tagelang unterwegs wäre, um vor Ort Erkundigungen einzuziehen. Sie selbst wüsste oft nicht, wann »Frau Kommissar« zurückkäme. Sie bot an, ihr auszurichten, dass ich sie besuchen wollte. »Sie sind bei Frau Steiner zu erreichen?« fragte sie nach.
Scheiße, das fehlte noch, dass die KB bei der Steiner anrief. Ja, bestätigte ich, aber es wäre wirklich nicht notwendig, dass …
Die Alte lächelte breit. Ich fühlte mich durchschaut. Ahnte sie, dass ich auf Eigeninitiative hergekommen war?
Besser rasch die Fliege machen. »Also gut, auf Wiedersehen.« Ich streckte der Sekretärin meine Hand zum Abschied entgegen, die sie widerwillig ergriff. Ihre Handfläche, stellte ich überrascht fest, war feucht.
Da hatte ich den genialen Geistesblitz, sie nach ihrem Namen zu fragen. Sie war, fiel mir auf, überrascht. Wahrscheinlich hatte sich in den langen Jahren, in denen sie in Amtsräumen verstaubte, niemand danach erkundigt. »Keuler, Birgit Keuler«, antwortete sie schließlich. Birgit, ein erstaunlich moderner Name für eine alte Schachtel, dachte ich noch, aber ich maß dieser Beobachtung keine Bedeutung bei.
»Na ja«, zog ich enttäuscht Resumée, als ich in dem gleichen Schneckentempo wie die Joggerin zuvor die Treppen hinabstieg, »das war nicht besonders erfolgreich.« Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich an der Nase herumgeführt worden war.

Freitag, 6. Februar 2009

Kommissarin 14 - Kapitel 4

Überrascht über den Nachweis, dass körperliche Bewegung (und wären es nur zwei Stufen) die Tätigkeit des Gehirns anregt, blieb ich stehen und erfuhr, dass ich mich am falschen Weg befand. Die »Ka Punkt Breugel« wäre unten angesiedelt. Mir insgeheim gratulierend, dass ich mit meiner Theorie von polizeilichen Arbeitsstätten in niedrigen Etagen Recht hatte, wunderte ich mich laut, warum mir das nicht aufgefallen war.
»Haben Sie auch wirklich geschaut?« fragte sie zurück, »unten, im Erdgeschoss. Rechts hinter den Postkästen geht ein Gang rückwärts, da ist es.«
Okay, dort hatte ich keinen Blick hingeworfen. »Es ist nicht so einfach zu finden«, zeigte die Auskunftsperson Verständnis, »ich zeig’s Ihnen.«
Wir stiegen die Stufen hinab, die ich mühsam hinauf gestapft war. Für eine Sportlerin schlich sie, fand ich. Bein einigen Sportarten kam es Langsamkeit an, aber musste sie das neben mir praktizieren? Dafür unterhielt sie sich angeregt mit mir, wollte wissen, wer ich war und warum ich zur KB wollte. Ich ratterte mein Sprüchlein herunter, von wegen Praktikant und dass die »Ka Punkt Breugel« spezielle Akten bearbeite, die ich wiederum die Ehre hatte einzugeben (als ich das erzählte, wurde mir wieder einmal die Lächerlichkeit der Verwaltungsmaschinerie vor Augen geführt – ich war schon am besten Weg gewesen, die kritische Außensicht zu verlieren), und meine Chefin hätte nun einen Termin vereinbart, weil wir was abklären müssten. Dummerweise stotterte ich richtiggehend herum – wie peinlich! Bei der KB müsste ich überzeugender auftreten, nahm ich mir vor und beschloss, dies als Probegalopp aufzufassen: Je katastrophaler die Generalprobe, umso exzellenter bekanntlich die Premiere!
Wir hatten beinahe das Erdgeschoss erreicht: »Also, da vorne«, erklärte meine Begleiterin gerade, als ihr plötzlich was einfiel. »Mist, jetzt habe ich den Fahrausweis vergessen!«
Zum Laufen?
Sie würde, informierte sie mich, am Donaukanal entlang laufen und hinüber in den Prater. Zurück aber manchmal mit den Öffis. Dafür benötigte sie ihre Jahreskarte der Wiener Linien.
Ich versicherte ihr, ich würde schon das Büro finden, und bedankte mich. Sie sprintete die Stiegen hinauf. Sieh an, kam sie doch auf Tempo! Wahrscheinlich hatte sie mit mir plauschen wollen.
Rasch hatte ich den angegebenen Gang entdeckt. Ich marschierte, nicht gerade »rückwärts«, immerhin nach hinten. Leider fand sich am Ende kein Schild mit »K. Breugel«. Nur zwei Türen, ohne Angabe. Die eine machte ich kurz auf, nur einen Moment; der Gestank erklärte mich schneller die Umrisse der Müllcontainer, was der Zweck dieses Raums war. Die zweite Tür ließ sich nicht öffnen. Verschlossen. Ich klopfte, es tat sich nichts. Das kam mir nicht wie der Eingang zu einem Büro vor, sondern eher wie ein Durchgang, möglicherweise eine Verbindung zu einem anderen Haus.
»Die hat mich einfach gefoppt!« stellte ich erstaunt fest. Wollte sie nicht das Gesicht verlieren, weil sie es nicht wusste? Warum hatte sie sich jedoch später daran »erinnert«? Dafür gab es nur einen logischen Grund. Mit gestärktem Selbstbewusstsein, dass sogar ältere Frauen mit mir anbandeln wollten, rief ich den Aufzug (kein Fußmarsch diesmal, sondern systematisch von oben nach unten). Vielleicht lief sie mir nochmals über den Weg; ich würde sie wohl kaum in der kurzen Zeit verpasst haben.
Meine gute Laune schwand allerdings in den folgenden Minuten. Mir fiel ein Austro-Pop-Song über ein Taxi ein, der in meiner Kindheit in war. Während ich sehnsüchtig nach oben starrte, dass ich beinahe eine Nackenstarre bekam, ging mir der Refrain nicht aus dem Kopf: »Kummt net, kummt net.« Das galt übrigens nicht nur für den Lift, sondern auch für meine charmante Begleiterin, der ich verdankte, dass ich wieder unten, also von vorne beginnen musste. Besser für sie, sich nicht blicken zu lassen, inzwischen war ich nicht mehr sehr eingenommen von ihr.
Seufzend machte ich mich schließlich daran, das Haus Stubenring 24b nochmals zu bezwingen. Im dritten Stockwerk entdeckte ich zwar nicht das Büro der KB, aber eine offen stehende Aufzugtür. Kein Wunder, dass der Lift nicht funktionierte!
Ich wollte beinahe aufgeben, als ich im sechsten, Pardon, offiziell vierten Stock ein dezentes Türschild mit »Komm. Breugel. Abteilung für die Aufklärung ungelöster Fälle« entdeckte. Nichts von wegen »K Punkt Breugel«, wie diese Jogger-Tante behauptet hatte. Ich war am Ziel angelangt.
Plötzlich wurde ich wieder nervös. Unschlüssig blieb ich vor der Tür stehen, redete mir ein, ich müsse mal zu Atem kommen.