Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Sonntag, 25. Januar 2009

Kommissarin 8 - Zwischenkapitel

Akte II-1963.SOS 67-98752, Café Tatjana, 1220 Wien
Bewertung

Nach Prüfung der Akte komme ich zu dem Schluss, dass angesichts des geringen Sachwerts der – zeitweilig – entwendeten Ware der Vorfall nicht weiter verfolgt werden soll.
Am 4. April 1966 meldete Frau Ines Prospischill, Inhaberin des Cafés Tatjana in der Sand???gasse 3, 1220 Wien (Anmerkung von Kommissarin Breugel: Straßenbezeichnung in der Akte nicht identifizierbar, möglicherweise Sanddorngasse oder Sandefjordgasse) ihre Kaffeemaschine als gestohlen. Bei der Sachverhaltsaufnahme vor Ort entdeckten die Beamten die Kaffeemaschine an ihrer gewohnten Stelle. Frau Prospischill zeigte sich überrascht, bestand aber darauf, dass die Kaffeemaschine über Nacht entwendet worden wäre. Ein testweiser Einsatz des Geräts ergab dessen eingeschränkte Funktionalität: Die Brühe verließ nur tropfenweise den Filter; die Qualität der von ihr angebotenen Kaffeespezialität war laut Frau Prospischill nicht mehr gewährleistet.
Frau Ines Prospischill, Inhaberin des Cafés Tatjana, bestand auf einer Aufzeige: Ihre gut funktionierende Kaffeemaschine wäre von unbekannten Banditen über Nacht ausgetauscht worden.
Die Anzeige wurde am 5. April 1966 aufgenommen; der Sachverhalt nie weiter verfolgt. Die Akte wurde nie offiziell geschlossen.
Angesichts der vernachlässigbaren Sachsumme ersuche ich um Schließung der Akte II-1963.SOS 67-98752, Café Tatjana, 1220 Wien und um deren aktenmäßige Veranlassung. Dem Akt lag neben der Anzeige mit Sachverhaltsdarstellung auch ein Manuskript einer Erzählung des unbekannten Schriftstellers A.M. Mühlwasser bei, welche den Vorfall zum Inhalt hat. Es konnte nicht geklärt werden, ob einer der ermittelnden Beamten mit schriftstellerischen Ambitionen dieses Ereignis, in einem (Anmerkung von Kommissarin Breugel: stümperhaften) Versuch, sich literarisch zu betätigen, verarbeitet hatte oder ob die Kollegen im Rahmen der Untersuchung auf diese Erzählung gestoßen waren und sie als möglichen Erklärungsansatz berücksichtigt hatten.
Wien, 22. Oktober 2003 Kommissarin K. Breugel
Bei uns in der Au: Der Streit der Kaffeetanten (Erzählung)
Bei uns in der Au spielen sich immer wieder Streidarein und Scharmützl ab. I mein, wir verstehn uns alle sehr gut, so im Allgemeinen, aber ab und zu, da kracht’s halt. Manchmal laut, wie beim Feiawerk, und dann spielt’s Granada, und es blitzt und donnert, als hätt’s den letzten Tog gschlogn.
Besonders org ist des mit den Geschäftsleut, die hängn halt immer wieder mitanda.
Ich denk da an eine Episode, die sich grod erst bei uns in der Au abgespielt hat.
Wir hom ein paar Wirtsheisa, aber auch zwei Kaffeeheisa. Eigentlich hat es immer nur ans gebn. Solange ma zruck denken ka. Des von der Innerl Pschemysl, wie der glücklose Ottakar von Böhmen, nur daß ma den aber mit an Haschek gschriebm ham. Aber heute sind ma alle Österreicha, also ka Hasckek wie in da Monarchie, wo die Behm a alle Österreicha woan. Des Kaffeehaus von da Pschemysl, an die ihr eich vielleicht noch von der anderen Geschicht’ erinnern könnt. Die Innerl, die uns alle zu ihrem vierzigsten Geburtstag einglodn hat (wer woas, ob des net schoa der funfzigste war) und der des mit der Tortn passiert is. Ihr erinnert’s euch, sie hat, wie a Hochzeittortn, ihre Geburtstagstortn gehabt, mit vier Etagen. Sie wollt’s net anschneiden, ums Verrecken net, sie hot uns mit Brathendl gefuttert und mit an Eis aus ana neumodischen Eismaschin, aber nix mit da Tortn. Wir ham gedacht, sie wü se die Tortn aufbeholtn, als Erinnerung, wei heiraten wü di eh kaner mehr, aber des woars net. Es wor haas, und die Wespen san um die Tortn geschwirrt, und plötzlich is a Teil von da Tortn einfach runtagrutscht. Des warn nämli kane vier Tortn, die Pschemysl hat nur a Tortn gmocht, die klane für obn, und für die drei anderen hat’s vier runde Karton gnumma und die mit einer Creme bestrichen. Als die Innerl das Malheur mit den Tortn gsehen hat, hat’s zuerst noch versucht, die Tortn und ihre Reputation zu retten und wollt’ des Stück wieder am Karton festpicken, aber des hat holt net gholtn, und da is sie hysterisch gwordn. Hot geheult und gschrien, und wir alle hom sie beruhigt, und gesagt, des ist ja net schlimm, denn im Grunde hom ja alle de Innerl Pschemysl gern gehabt.
Aber des mit der Tortn wollt ich eigentli’ net erzähln, weil die Gschicht kennt’s eh alle in da Au. Sondern wi a zweits Kaffeehaus bei uns aufg’mocht hat. Des hot die Innerl ziemli’ unter Druck gbrocht. Weil natürli hom wir uns des neue Kaffeehaus angeschaut, des von der Edda Meier. Und des wor wirklich a schens Kaffeehaus. So richtig mit runde Tisch und große Fauteuils, und sogar Zeitungen sind rumg’legn. Bei der Innerl hat ma si nur die Zeitung von ihr ausborgn kenna. Und Mö’speisn hot’s bei der Edda gegeben. Da hot die Innerl mit ihrem Kiosk mit die poar Sesseln draußn net mitholdn kenna. Trotzdem, wir san a weiter ab und zu zur Innerl gangen, denn wir hom se gern ghobt, und sie hat auch an Spaß verstanden. Die Edda hat imma so komisch g’schaut bei unsere Witze.
Wir san amol zur Edda und amol zur Innerl gegangen, um zu hören, wie sie übereinander geschimpft hom. Des wor ja lustig. Die zwei hom sie net ausstehn kenna. Für uns wor des a Gaudi.
Einmal hot’s kan Kaffee gebn bei der Edda. Ihr Maschin war kaputt. Verstopft. Da hat sie doch glatt behauptet, die Innerl hätte wen geschickt, der ihr die Kaffeemaschine ruiniert hätte. Die Innerl hat getobt, als sie des g’hert hat. Sie wollt schon zur Edda gehn und a Theata machn, was normalerweise imma sehr lustig für uns woar, aber da war sie so wütend und is die ganze Zeit nur mehr mit an Messa in da Hand rumg’laufn, also ham ma gesagt: Innerl, beruhig di, reg’ di net auf, bleib da! Na ja, sie is net mit dem Messa in da Hand zur Edda rüberg’laufn. Aber gschimpft hat sie die nächsten Tag, daß des a Freud woar. Die Edda hat dann a neiche Maschine gekauft, diesmal das gleiche Fabrikat wie bei der Innerl. Trotzdem hat sie behauptet, ihr Kaffee wär viel besser als der von der Innerl, die in ana Bruchbuden a Café betreibt. Nur dummaweise woar die neiche Maschin’ nach einiger Zeit kaputt. Da Kaffee ist net g’scheit durchg’runna, es woar oals verstopft.
Die Innerl hat si’ g’freit. Aber net loang. Da war plötzli’ ihre Kaffeemaschine weg. Über Nacht. A Einbruch? Net wirklich. Es hat ja jeda gewusst, daß sie den Schlüssel unterm Blumentopf versteckt hot. Sie hot behauptet, sie hätt’ abg’sperrt, aber in der Früh woar offen, der Schlüssel is gesteckt – und die Kaffeemaschine war weg. Natürlich hat sie der Edda vorgeworfn, daß die dahinter steckt. Den Kieberer hat’s gsagt, die sollen bei der Edda suchen. Aber des wollten di net. Wie schaut denn das aus?
Am nächsten Tag is die Innerl ganz aufg’löst gewesen. Die Kaffeemaschine woar wieder da, an ihrem alten Platz. Wahrscheinlich hat sie die bei sich selbst versteckt und hat das vom Diebstahl nur behauptet, um der Edda eins auszuwischen. An dem Tag warn ja wirklich alle von der Au bei ihr, selbst die, welche sich sonst net blicken hom lassen. Na, haben wir uns g’dacht, ist ja wurscht, wird wieda so a Linke von der Innerl sein, wia bei der Tortn, Hauptsache, es gibt wieda an Kaffee.
Des woar oba a Füh’einschätzung. Die Maschin hat net gescheit funktioniert. Nur ganz langsam ist da Kaffee durchg‘runna, Tropfen für Tropfen. Wie bei der Edda in letzta Zeit. Wir ham der Innerl nicht widersprochen, als sie der Edda unterstellt hot, sie hätt’ die Maschine ausgetauscht. Ein poar von uns sind nachher zur Edda gegangen, auf an Kaffee. Und siehe da: Bei ihr is da Kaffee durchgeronnen, so a Zufall! Wir ham des net der Innerl gsagt, aba irgendwie hat sie’s doch erfoarn. Da woar wos los. Zur Kieberei ist die Innerl glaufn und hat sich beschwert. Und weil sie so lästig woar, sind die Kieberer nach ein paar Tagen doch zur Edda gegangen, zum Lokalaugenschein. Die Innerl ist mitg‘kuma, aber die hom zwei starke Männer festholtn müssen, sonst hätt’s der Edda die Augn ausgekratzt.
Die Edda woar aba ganz ruhig und hot gsagt, des is a Unterstellung. Dann hot sie ihre Maschine vorgeführt: Die hat nu’ a nimma richtig funktioniert. Die Edda hat sich aufg’budelt: Und sag ich jetzt, die Pschemysl hätt’ mei’ gute Maschin gegen ihre ausgetauscht? Der Innerl ist alles runterg‘foalln und, als die Kieberei zu ihr gegangen ist und ihre Maschine angeschaut hat, woar sie, glaube ich, ganz erleichtert, daß ihre Maschine auch net gescheit gegangen ist.
Nach einiger Zeit hat sich alles wieder beruhigt. Die Edda hat sich so eine neumodische, große Espressomaschine gekauft, und die Innerl hat ihre alte, kaputte Kaffeemaschine behalten. Aba wir sind trotzdem weiter zur Innerl gegangen, denn sie hat doch an Spaß verstanden.
Anton Martin Mühlwasser