Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Montag, 26. Januar 2009

Kommissarin 10 - Kapitel 3

Die neueren Werke trugen eine andere Handschrift als die früher abgegebenen Akten. Dennoch waren sie alle mit KB, also Kommissarin Breugel, unterzeichnet. Hatte sie eine Ghostwriterin? Wer würde sich denn bei Arbeiten, die ungelesen in einem Schrank landeten, dazu bereit erklären? Die einzige logische Erklärung schien, dass eine Mitarbeiterin, die im Gegensatz zur Kommissarin sprachlich begabt war, sie jetzt unterstützte. Oder hatte es früher eine Kollegin ausformuliert, und nun verfasste die Kommissarin die (besseren) Texte selbst? Das kam mir unglaubwürdig vor. Oder sie ließ die Texte extern erstellen, und dies leistete nun wer anderer?
Ich hatte nochmals nachgefragt. Was nicht gerade auf helle Begeisterung stieß. Alle, die Steiner, die Schmeißer, selbst das fröhliche Humpty-Dumpty-Frühstücksei hatten verhalten reagiert. KB war ein Thema, hatte ich gelernt (genauer gesagt, sollte ich endlich lernen), das besser nicht angeschnitten wurde. Ich hatte lediglich die Information bestätigt bekommen, dass die KB nur über eine einzige Mitarbeiterin verfügte, nämlich über eine Sekretärin. Ob diesen Posten im Laufe der sieben Jahre mehrere Personen besetzt hätten, konnten sie mir nicht beantworten. »Hat’s keine lang neben der Frau Tüchtig ausgehalten«, kuderte das Frühstücksei, wurde aber von der Schmeißer mit strengem Blick und einem verstohlenen Zeichen in Richtung der Steiner, die ein wenig abgewandt stand, gewarnt. Die Steiner hatte sich zu uns gedreht: Nein, entgegnete sie, denn die wenigen Male, in denen sie über die Jahre hinweg Kontakt mit dem Büro der KB gepflegt hatte, hatte sie (glaubte sie) am Telefon stets mit der gleichen Sekretärin gesprochen. Ich nahm mir vor, in der Personalabteilung nachzufragen, behielt aber diese Idee wohlweislich für mich.
Worin bestand das Geheimnis rund um die KB? Warum peinlich berührtes Schweigen, wenn man nur ihren Namen aussprach?
Vielleicht wussten meine beiden Freunde im Keller mehr? Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sie gar nicht so abgeschnitten vom Tratsch lebten, wie ihre dezentrale Lage und ihre häufigen Abwesenheiten vermuten ließen. Sie hielten Kontakte zu ein paar treuen Gästen, die regelmäßig zu Besuch kamen und ihnen den erforderlichen Nachschub an Bier und Informationen lieferten.
»Sie haben mich eingeteilt, Akten von einer Kommissarin Breugel abzulegen. Berge sind das!« Adi und Otto nickten mitfühlend. »Oabeit is imma Oasch«, war zwar ihr Lebenscredo, aber mit einer solchen Hackn tat ich ihnen Leid. »Wisst ihr eigentlich, wer das ist, diese Kommissarin Breugel?«
Die beiden schüttelten bedauernd den Kopf. War ihr Informationsstand doch nicht so gut. »Is des ane von uns im Haus?« wollte Adi wissen.
Ich erzählte ihnen das wenige, was ich über die Breugel in Erfahrung gebracht hatte, und schloss: »Da scheint’s was gegeben zu haben. Alle, die ich frag’, drucksen herum.«
Nun waren meine Ex-Kollegen neugierig geworden. »Wir wer’n uns umhören«, versprach Adi, »und wenn ma was wissen, wer’n mas da sag’n, Burli.«
»Warum interessiert di de?« ging Otto der Sache nach.
Ich überlegte, ob ich mich auf den Kommentar beschränken sollte, dass mich die Geheimniskrämerei rund um die KB stutzig machte, oder ob ich mehr preisgeben sollte. »Na ja, die Akten von ihr, die alten sind ganz anders geschrieben als die neuen«, verriet ich schließlich.
Die Offenheit hätte ich mir sparen können, die beiden glotzten mich nur blöde wie zwei Kühe auf der Alm kurz vorm Wiederkäuen an. In diesen Sphären bewegten sie sich nun eben nicht. »Wie anders? Besser oder schlechter?« fragte Otto, der unter Beweis stellen wollte, dass ich durchaus solch abgehobenen Thesen mit ihm besprechen konnte. Adi rülpste und verdrehte die Augen; er hatte kein Interesse an solchen Kinkerlitzchen.
»Anders eben«, antwortete ich. »Eigentlich ist es jetzt interessanter zu lesen, aber ich glaube, sie hat sich früher mehr Mühe angetan.«
»Hot’s halt g’lernt, dass sich di Müh net auszoalt. Nun schreibt’s schene G’schichtn, des mocht ihr halt mehr Spaß«, mutmaßte Adi in einem Tonfall, der mehr als deutlich ausdrückte, dass er das Thema für beendet hielt.
Es brachte nichts, mit den Kumpeln die Schreibweise einer Kommissarin Breugel zu diskutieren. Dabei ging es nicht nur um den Stil, sondern auch um die Inhalte. Insbesonders bei den allerneuesten Texten. Seitdem die KB von ihrem Urlaub zurückgekommen war, zeichnete sie sich durch besonderen Fleiß aus. In manchen Wochen lieferte sie zwei, sogar drei fertig gestellte Akten ab. Manche schienen geradezu auf mich zugeschnitten. Ich musste aufpassen, keinen Verfolgungswahn zu entwickeln. Jedes Mal, wenn eine neue Akte der KB abgegeben wurde, wurde ich richtiggehend aufgeregt. Ich zwang mich nicht gleich hinzustürzen, sondern erst nach einiger Zeit, wenn die Kaffeetanten mit ihrer braunen Brühe, die immer langsamer und spärlicher durch den Filter floss, beschäftigt waren, hin zu schlendern und lässig von mir zu geben: »Dann werde ich die gleich mal bearbeiten.« Der Steiner fiel mein gesteigertes Interesse an den jüngsten KB-Akten zum Glück nicht auf; womöglich glaubte sie, auch meine Lebenserfüllung läge in einer korrekten Ablage.
Zu dumm, dass diese Berta Schmalbaum ausgerechnet jetzt verstorben war! Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich, hätte ich mit ihr sprechen können, ein klareres Bild über die KB gewonnen. Vermutlich ein Irrglaube, die Alte wäre selbstbezogen und in der Vergangenheit verhaftet, dass nichts aus ihr raus zu holen gewesen wäre. Schade trotzdem!