Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Dienstag, 6. Januar 2009

Roman "Die vierundfünfzigste Passagierin" - Leseprobe / 3

Mona versuchte ihren plötzlich aufwallenden Zorn zu unterdrücken. »Ich will weg«, wiederholte sie, mit einem gefährlichen Zischen. Sie wurde ignoriert. Helmut stand auf, um eine weitere Schachtel Kekse zu holen. Elfi goss Milch in ein Kännchen und stellte es auf den Tisch. Ohne den üblichen Kommentar (»Da habt ihr Milch.«), mit dem sie sonst diesen Handgriff zu begleiten pflegte.
»Bin ich für sie unsichtbar?« ärgerte sich Mona, die Elfis und Helmuts Hilflosigkeit als Affront gegen sich auffasste. Sie sprang auf. »Ich will hier weg!« schleuderte sie ihnen entgegen. Elfi streckte ihren Arm aus, als wollte sie beruhigend nach Mona greifen, ließ aber in der Hälfte der Bewegung die Hand schlaff sinken und wandte sich wieder der Kaffeemaschine zu. Helmut blickte sie kurz an, als wäre er überrascht, die ruhige und vernünftige Mona ausrasten zu sehen, und widmete seine Aufmerksamkeit der zweiten Kekspackung, die er gerade öffnete.
Mona starrte ihre Freunde fassungslos an. Sie schnappte das Milchkännchen und leerte langsam dessen Inhalt über die Kekse, die, befreit von der Hülle, griffbereit lagen. Helmut fischte sich rasch ein Keks, das noch nicht durchtränkt war, und ließ es in seinem Mund verschwinden. Elfi, die am Rücken Augen zu haben schien, griff nach einem Schwammtuch, wagte aber nicht, Monas fast rituell anmutendes Milchverschütten zu unterbrechen und den Tisch abzuwischen. Die Milch begann die Kekse aufzulösen, füllte die Packung und schwappte auf den Tisch über. Mona fuhr fort, bis das Kännchen leer war. Erst dann setzte sie es ab. Nochmals machte sie ihren Standpunkt klar: »Ich will weg.«
Mit perverser Freude beobachtete sie, wie die Zigarettenschachtel, die sie am Tisch liegen gelassen hatte, aufgeweicht wurde. Mona griff nicht ein. Auch die Wohnungsbesitzer nicht. Erst als die Milch den Rand des Tisches zu erreichen und hinab zu tropfen drohte, wischte Elfi erstaunlich rasch die Bescherung auf. Sie wollte, wie gewohnt, einen Kommentar abgeben, etwas in der Art wie »Gut, dass der Tisch aus Kunststoff ist!«, aber sie brachte kein Wort heraus. Die Stille machte ihr Angst, zugleich wagte sie aber nicht das Schweigen zu durchbrechen.
Mona stand auf und betrachtete von oben den geputzten Tisch. »Jetzt muss ich mich entschuldigen«, dachte sie und öffnete den Mund. Heraus kam jedoch nur ihr stereotypes »Ich will weg.«