Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Sonntag, 25. Januar 2009

Kommissarin 9 - Kapitel 3

Kapitel 3
»Geht’s da net guat, Burli«, meinte Adi direkt besorgt. »I hob’s ja glei gsogt, dass da di Gsö’schaft bei de Bürotussies net guat tuat.« Er hob sein Krügel, gefüllt mit Bier, das ich als Gastgeschenk mitgebracht hatte. »Prost, Burli! Loss di net untakrian.«
»Oba geh«, meinte der Otto, sein Kollege, und stieß mich mit dem Eckbogen freundlich-grob an. »Liebeskumma, hot er, da Klane. Woast nimma, dass er uns wegn an Madl verlossn hat?« Er tat, als würde er weinen, und lachte dabei über das ganze Gesicht. »Hat uns verloassn«, wiederholte er, »weg’an Weib!« Verständnislos schüttelte er den Kopf.
Ich hatte von den bedauerlichen Zahnbeschwerden meiner Kollegin, der Steiner, die deswegen erneut zum Arzt musste, profitiert. Wegen eines zu setzenden Implantats würde sie in nächster Zeit öfters Abwesenheiten verursachen, während derer ich mich auch verkrümmeln konnte. Ich hatte zwar Frau Schmeißer, die eigentlich für mich zuständig war, noch immer nicht davon überzeugen können, dass es wirklich keinen Sinn machte, wenn ich um acht Uhr (oder was es halt wurde) in der Früh antanzte, ich wäre zu der Zeit nicht einsatzbereit. (Was sie mit einer netten Einladung, eine Tasse Kaffee mit ihnen zu trinken, quittierte.) Dafür durfte ich mich, wenn die Steiner weg war, vertschüssen – vorausgesetzt, ich kam vor der Meisterin der Ablage zurück und lieferte Frau Schmeißer eine nicht allzu durchsichtige Erklärung für meinen (selbstverständlich dienstlichen) Weg.
Diesmal hatte ich sogar das Ziel meines »Dienstganges« wahrheitsgemäß genannt: Die Kopierstraße. Bei einigen alten KB-Akten wäre einiges schwer lesbar, hatte ich behauptet, da könnte mir eine hochauflösende Kopie weiterhelfen. Dass das »Papier« in dem überdimensionalen Sack so verdächtig klirrte, wurde zum Glück nicht kommentiert. Ich hoffte nur, das Frühstücksei, die Einzige des Kaffee-Trios, welche meiner Geschichte tatsächlich Glauben zu schenken schien, würde nicht irgendwann gegenüber der Steiner in aller Naivität ausplaudern, dass ich, in meinem Bemühen, die Akten entziffern zu können, die Kopierstraße aufgesucht hätte.
Nun saß ich also bei meinen Ex-Kollegen und ließ mich – mehr oder weniger ernst gemeint – von ihnen bedauern. Sie hatten mit ihrer Einschätzung durchaus Recht. Mir ging’s nicht so gut: die schwachsinnige Hackn und Sandra. Wegen ihr hatte ich mich in diese öde Archivabteilung versetzen lassen, und was hatte ich nun davon? Mit uns ging es nicht so wirklich voran. Na ja, ein paar Mal waren wir schon fort, und sie hatte mir auch immer wieder schöne Augen gemacht. Wahrscheinlich, wenn ich ordentlich ranging, könnte ich sie bekommen. Aber …
Ich hatte mich, fürchtete ich, in diese freche Gör mit ihren grünen Augen verschaut. Mich hatte es diesmal richtig erwischt. Ich wollte mehr, was Ernstes, was Tiefergehendes. Das würde sie nicht zulassen, fühlte ich, denn Sandra verhielt sich mir gegenüber nicht aufrichtig. Nicht nur, dass sie in Wahrheit zweiundzwanzig Jahre alt war (und nicht neunzehn, wie sie anfangs behauptet hatte) und dass sie gerne Geschichtln druckte und sich (gemeinsam mit ihren Freundinnen, die sie leider immer wieder mitzerrte) fürchterlich abhaute, wenn ich darauf reinfiel; nein, da war mehr. Es existierte ein versteckter Teil ihrer Persönlichkeit: irgendwas (oder vermutlich irgendwen) nahm sie sehr ernst, aber darüber sprach sie nicht. Mir verriet sie nichts, denn ich war nur ein Spielzeug für sie; ihrer Mutter sowieso nichts, doch vielleicht schwieg sie auch gegenüber ihren Freundinnen.
Dazu gehörte, dass sie an Mittwoch Abenden nie Zeit hatte. Zuerst hatte sie behauptet, sie hätte eine Vorlesung, aber als ich ahnungslos vorschlug sie doch abzuholen, hatte sie nervös reagiert. Schließlich hatte sie eingestanden, die Unwahrheit gesagt zu haben, und war mir patzig über den Mund gefahren, als ich es wagte nachzufragen. Eigen war auch, dass sie oft an Dienstagen und manchmal auch Montagen die Ausrede benutzte, sie hätte keine Zeit, weil sie eine Seminararbeit für die Uni fertigtstellen oder für eine Prüfung lernen müsste. Aber jene Prüfung, die sie einmal vorgab, hatte sie in Wirklichkeit drei Tage zuvor erfolgreich abgelegt. Hatte doch ihre Mutter stolz verkündet! Sandra selbst hatte dies auch mir bestätigt, als sie darauf ansprach. Nachdem ich sie der Lüge überführt hatte, weigerte sie sich eine Woche lang mich zu sehen.
Ja, Sandra bereitete mir Kopfzerbrechen, da hatte Otto schon Recht. Darüber hinaus setzten mir die KB-Akten zu. Da war was faul, spürte ich. Vor allem bei den neueren Schriftstücken ab dem Jahr 2001: Die wirkten, als wären sie von einer anderen Person verfasst. Ein völlig unterschiedlicher Stil, gut geschrieben und durchaus interessant (da musste ich der Steiner direkt Recht geben), manchmal sogar mit spitzfindigen Bemerkungen und tiefsinnigen Analysen, die eigentlich in einer Akte nichts zu suchen hatten. Was wiederum bewies, dass die Damen des Kaffee-Trios nie einen Blick auf die KB-Akten geworfen hatte. Schade um die Liebesmühe der Autorin. Obwohl … Vielleicht machte es ihr mehr Spaß, die mühsam aufgetriebenen Ergebnisse der Recherche stilvoll aufzubereiten, als brav und hölzern, wie sie es Ende der neunziger Jahre exerziert hatte.
Falls es überhaupt die gleiche Person war …