Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Dienstag, 6. Januar 2009

Roman "Die vierundfünfzigste Passagierin" - Leseprobe / 2

An jenem Dienstag fühlte ich mich völlig blockiert: Ich hatte so viel zu tun, dass ich nicht wusste, womit ich anfangen sollte. Statt auf Mittagspause zu gehen, hatte ich die Tür zu meinem Zimmer geschlossen und eine Liste erstellt, was ich noch unbedingt in dieser Woche erledigen musste (und wider besseres Wissen ein paar »Kleinigkeiten« in mein Programm aufgenommen, die zwar nicht zeitkritisch waren, welche ich mir aber einbildete zwischendurch abschließen zu können).

Was dazu führte, dass ich mehrere Arbeiten gleichzeitig zu erledigen versuchte. So auch in dem Moment, als der Außendienstmitarbeiter mein Zimmer betrat. Ich hatte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt (warum bekam ich keine Kopfhörer, um die ich schon mehrmals angesucht hatte?) und wartete, bis ich beim Kartenbüro an die Reihe käme, zugleich rief ich im Internet die Website eines Hotels auf (was aber wegen der zahlreichen und unnötigen Bilder eine Ewigkeit dauerte) und überschrieb im Textverarbeitungsprogramm einen in deutschen Stichworten konzipierten Brief durch ein korrekt ausformuliertes Geschäfts­schreiben in französischer Sprache (das der Ecker dringend benötigte und ich daher einzu­schieben hatte: »Sind eh nur ein paar Zeilen«).

Das fehlende Mittagessen machte sich bemerkbar, ich übertauchte meinen Hunger mit einer Riesentafel Trauben-Nuss-Schokolade, die ich mir aus dem Kühlschrank entliehen hatte (eine Kollegin, die im Krankenstand war, hatte sie eingelagert, ich musste nur rechtzeitig die Tafel ersetzen). Ich biss gerade herzhaft ein großes Stück ab, als – »nein, das darf doch nicht wahr sein!« – der Computer abstürzte. Der französische Brief war beinahe fertig gewesen! Und ich hatte das Dokument nur überschrieben, aber nicht gespeichert oder zumindestens ausgedruckt. Eine halbe Stunde Arbeit beim Teufel!

»Scheiße!« War es mein Ausruf oder ein ungeschickter Biss in die Schokolade – jedenfalls folgte der nächste Absturz: Ein Schokostück fiel auf den Boden. Ein Teil verirrte sich in meinen Schuh, den ich ausgezogen hatte (das aber merkte ich erst am Abend, als ich mich wunderte, warum ich, in der Strumpfhose durch die Wohnung spazierend, dunkle Flecken hinterließ). Das war aber mit Abstand das geringste Problem! Während ich mich durch sämtliche, in Folge des Absturzes erscheinenden Dialogboxen klickte, die Musik an meinem Ohr durch die Ansage »Sie werden in Kürze bedient. Bitte legen Sie nicht auf!« unterbrochen wurde, ein Blinken am Bildschirm und das begleitende Blopp mir neu eingelangte E-Mails ankündigte, vernahm ich hinter mir ein Lachen: »Na, bei Ihnen geht’s ja lustig zu: Schokolade, Computerspiele, Privattelefonate, ungepflegte Ausdrucksweise, legeres Herumlümmeln am Arbeitsplatz! Ja, Ihr im Innendienst seid wirklich verwöhnt!« Ich wollte mich auf der Stelle umdrehen und den Herrn anschnauzen (und ich glaube, diesmal wäre ich wirklich explodiert und hätte alles herausgeschrien, was sich seit Jahren in mir angestaut hatte), als Mozarts »Kleine Nachtmusik« von einer Frauenstimme »Sie sprechen mit Frau Gittari. Was kann ich für Sie tun?« abgelöst wurde.

Ich schluckte und entschied mich, um die Kartenreservierung zu kümmern. Sollte ich ein zweites Mal in der Warteschleife hängen? Vor Wut kochend, aber hilflos sah ich zu, wie der Außendienstmitarbeiter seine Unterlagen in das mit »Lokale und Veranstaltungen in Wien« beschilderte Kistchen schmiss.

Während ich der Dame vom Kartenbüro die Wünsche meiner Firma bekannt gab, beschloss ich den Computer neu zu starten. »Sicherheitshalber«, dachte ich, denn sonst würden sich die Fehler den ganzen Tag fortsetzen. Eine Fehlentscheidung: Frau Gittari verlangte Informationen, die ich nur im Computer verfügbar hatte. Und dieser war noch nicht einmal heruntergefahren! Früher hatte ich mir immer vor einem Telefonat alles Wesentliche herausgesucht, aber die Predigten des Eckers, dass ich »doch endlich lernen sollte, effizienter zu arbeiten« (also schneller) hatten mich dazu gebracht, von der bewährten, vielleicht etwas umständlichen und altmodisch wirkenden Vorgangsweise abzugehen.

Da Frau Gittari nicht die Zeit hatte zu warten, bis mein Computer wieder neu hochgefahren war, musste ich die Bestellung abbrechen. »Wenn Sie wieder anrufen, verlangen Sie mit mir zu sprechen«, empfahl mir die Dame am anderen Ende der Leitung eindringlich Wie sollte das in einem Call-Center funktionieren, fragte ich mich, außer mit ewigem Warten. »Und halten Sie Ihre Unterlagen bereit!« gab sie mir als Mahnung mit auch den Weg. Das hatte ich nötig!

Heidi stürmte, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer. »Mein Computer ist abgestürzt.«