Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Donnerstag, 26. Februar 2009

Kommissarin 20 - Zwischenkapitel

Liebe Sane!
Eigentlich ist das, was du abgeliefert hast, eine Themenverfehlung in Reinform. Du weißt, wie sich dies im klassischen Schulnotensystem, auf das ich bewusst verzichte, ausdrücken würde.
Die Aufgabe lautete: Ein modernes Märchen. Unter Beachtung folgender drei Zusatzpunkte: 1. Verwendung einer vorhandenen Märchenfigur bzw. eines Märchenmotivs 2. Die Moral aus der Gschicht’ zu ziehen. 3. Ein Happy-End.
Punkt eins: Du hast das bewährte Aschenputtel zur Protagonistin deiner Erzählung gemacht. Ein modernes Aschenputtel, Studentin der Betriebswirtschaftslehre, das sich des Nächtens durch die Clubbings von Wien tanzt, auf der Suche nach Liebe, Anerkennung und dem Sinn des Lebens. Es entspricht leider nur nicht der Vorlage, in der ein armes und diskriminiertes Mädchen skizziert wird, da deine Studentin durchaus sozial und ökonomisch abgesichert ist. Auch die Außenseiter-Rolle des ursprünglichen Aschenputtels ist in deiner Erzählung in keiner Weise berücksichtigt, da deine Protagonistin voll im Studentinnenleben integriert ist und sogar häufig den Mittelpunkt von Gesellschaften bildet. Welche Rolle sollte dem Prinzen, der im Original das Aschenputtel aus seiner benachteiligten Situation befreit, zukommen? Deine Neuinterpretation, in der das Aschenputtel unbedingt einen Typen haben will, dieser aber ihr Interesse nicht erwidert, hat mehr als mit der Bewältigung einer persönlichen Erfahrung oder einer Beobachtung im Freundeskreis zu tun, als mit einer stringenten Bearbeitung der Märchenvorlage.
Punkt zwei: Das gewählte Setting bedingt geradezu den weiteren Verlauf der Geschichte, die schließlich in der peinlichen Szene endet, in der dein Aschenputtel entdeckt, dass sich ihr Schwarm nicht für sie, sondern für eine andere Frau interessiert, die ihm Karrieremöglichkeiten eröffnet. In diesem Sinne hast du immerhin eine »Moral« niedergeschrieben, nämlich, dass sich Menschen mehr um sich und ihr eigenes Wohlergehen kümmern als um ihre Mitmenschen.
Punkt drei: Das größte Manko an deiner Geschichte ist das fehlende Happy-End, das ich explizit eingefordert habe. Als Schriftstellerin wirst du nicht herumkommen, Auftragsarbeiten annehmen zu müssen, und wenn eine Science Fiction-Story gefordert wird, kannst du keine romantische Liebesgeschichte an einem mittelalterlichen Hof einreichen.
Falls du die Geschichte neu, entsprechend meiner Anweisungen, schreiben willst und sie mir spätestens bis zur nächsten Kursstunde abgibst, bin ich bereit, die revidierte Arbeit nochmals durchzusehen und zu bewerten.
Ich bedauere zutiefst, dass dein ursprünglicher Eifer rapid nachgelassen hat, und hoffe, dass trotz deiner Entwicklung in letzter Zeit die missglückte Märchenbearbeitung nur ein Ausrutscher war.
Gruß, B. Keuler