Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Samstag, 7. Februar 2009

Kommissarin 15 - Kapitel 4

Es war schlimmer als vor einer Prüfung – ich meine, vor einer, die ich ernst nahm. Mit Entsetzen erinnerte ich mich, wie ich selbst gegenüber der sportlich ambitionierten Hausbewohnerin herum gestottert hatte. Die war mir übrigens nicht mehr über den Weg gelaufen: Hatte ich unten doch mehr Zeit vertrödelt, als ich gedacht hatte!
»Ich bin doch nicht hergekommen, um unverrichteter Dinge wieder zu gehen«, sprach ich mir selbst Mut zu, atmete tief durch und drückte auf die Klingel. »Was wollen Sie?« knarrte eine alt klingende, misstrauische Stimme aus einer Sprechanlage, die – versteckt positioniert – ich zuvor nicht bemerkt hatte.
Ich nannte meinen Namen, erklärte, dass ich von Frau Steiner käme. Die Tür wurde geöffnet.
Ich betrat einen lang gezogenen Vorraum, der in ein düsteres Zimmer führte. Klassisch eine Wohnung, die mehr schlecht als recht in ein Büro umgewandelt worden war.
In dem dunklen Kämmerchen hockte eine ältere Frau in einem furchtbar altmodischen Strickkostüm und mit einer noch schrecklicheren Frisur, bei der sie ihre grauen Strähnen zu einem Knödel hochgesteckt hatte. Auf der Nase drückte, wie konnte es anders sein, eine Brille in Krankenkassenfassung. Am liebsten hätte ich ein Staubtuch ergriffen und es an ihr (wahrscheinlich ohnehin erfolglos) angewandt.
So alt hatte ich mir die KB nicht vorgestellt. Wäre sie nicht so um die vierzig? Vielleicht war diese Frau auch gar nicht so alt, wie sie vorgab, schoss mir durch den Kopf, sie wirkte bloß so, weil sie dermaßen altfaderisch auftrat. Schade, dass das Licht in dem Raum miserabel war. Kein Wunder, dass sie eine Brille benötigte. Der Computer in der Ecke mit der grünen Schrift auf schwarzem Grund tat sein Übriges.
»Was wollen Sie?« Selbst ohne Verzerrung durch die Sprechanlage ratterte die Stimme wie ein absterbendes Motorrad.
Trotzdem: Irgendwie hatte ich den Eindruck, die Stimme schon gehört zu haben. Auch die Frau kam mir seltsam bekannt vor. Andererseits, wäre ich je auf so ein Original gestoßen, hätte ich das sicher nicht vergessen.
Verwirrt sagte ich nochmals mein Sprüchlein auf.
Die Alte unterbrach mich scharf: »Haben Sie einen Termin bei Frau Kommissar Breugel?« Witzig, die sprach von sich selbst in der dritten Person.
»Nein, ich dachte, ich könnte so …« Bei der werden sich ja nicht gerade die Leute anstellen, wozu also Terminvereinbarung?
»Das ist schade.« Die Hexe bemühte sich, Bedauern in die Antwort zu legen, was aber in keinster Weise glaubwürdig wirkte. »Frau Kommissar Breugel ist nicht da. Sie ist unterwegs, in ihren Ermittlungen.«
Ach so, das war gar nicht die KB. Erleichterung erfasste mich. Irgendwie hätte das auch nicht gepasst, diese alte Schachtel und die spitze Feder der Kommissarin.
»Kann ich auf sie warten?«
»Haben Sie Ihr Feldbett mit, junger Mann?« Sie lachte scheppernd. Wollte ihren Humor wohl unter Beweis stellen. Sie erklärte mir, dass »Frau Kommissar« tagelang unterwegs wäre, um vor Ort Erkundigungen einzuziehen. Sie selbst wüsste oft nicht, wann »Frau Kommissar« zurückkäme. Sie bot an, ihr auszurichten, dass ich sie besuchen wollte. »Sie sind bei Frau Steiner zu erreichen?« fragte sie nach.
Scheiße, das fehlte noch, dass die KB bei der Steiner anrief. Ja, bestätigte ich, aber es wäre wirklich nicht notwendig, dass …
Die Alte lächelte breit. Ich fühlte mich durchschaut. Ahnte sie, dass ich auf Eigeninitiative hergekommen war?
Besser rasch die Fliege machen. »Also gut, auf Wiedersehen.« Ich streckte der Sekretärin meine Hand zum Abschied entgegen, die sie widerwillig ergriff. Ihre Handfläche, stellte ich überrascht fest, war feucht.
Da hatte ich den genialen Geistesblitz, sie nach ihrem Namen zu fragen. Sie war, fiel mir auf, überrascht. Wahrscheinlich hatte sich in den langen Jahren, in denen sie in Amtsräumen verstaubte, niemand danach erkundigt. »Keuler, Birgit Keuler«, antwortete sie schließlich. Birgit, ein erstaunlich moderner Name für eine alte Schachtel, dachte ich noch, aber ich maß dieser Beobachtung keine Bedeutung bei.
»Na ja«, zog ich enttäuscht Resumée, als ich in dem gleichen Schneckentempo wie die Joggerin zuvor die Treppen hinabstieg, »das war nicht besonders erfolgreich.« Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich an der Nase herumgeführt worden war.