Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Freitag, 20. Februar 2009

Komissarin 18 - Kapitel 5

Dennoch hatte ich, als mich René fragte, ob ich mit ihm zum Festl ginge (»Es ist auch ein Dienstag und kein Mittwoch!«, hatte er es nicht lassen können hinzuzufügen), nicht sofort abgelehnt: »Na, ich weiß nicht recht.« Als mir bewusst wurde, dass René auf jeden Fall auf dem Gschnas herumtanzen würde, sagte ich ihm zu, ihn zu begleiten. Begleiten: ha ha! Anfangs hockte er bei der Partie meiner Mutter und seiner Aufpasserin, der Steiner, und ich konnte ihn nur mit Tricks loseisen und auf die Tanzfläche zerren. Dort hielt es ihn jedoch nicht lange. Ich erfuhr schließlich den Grund für seine Ungeduld: Er erwartete die Kommissarin, die ihr Kommen angekündigt hatte. »Ich kenne sie noch nicht«, hatte er mir eifrig erklärt, »und Frau Steiner hat versprochen, sie mir vorzustellen.« War er nicht ganz dicht? Ich verstand beim besten Willen nicht, was so Besonderes an der Kommissarin wäre. Lapidar bekam ich zur Antwort, dass er die Frau, mit deren Akten er zu tun hatte, gerne persönlich kennenlernen wollte. Hatte er zuviel Polizeimief geschnüffelt, oder was? Irgendwas in meinem Inneren warnte mich allerdings, dass René nicht auf dem Weg zur völligen Vertrottelung war, sondern dass hinter dieser kommissärischen Geschichte was anderes steckte. Was er mir aber nicht verraten wollte.
Endlich war die von René sehnsüchtig Erwartete aufgetaucht. Über unseren Köpfen (wir saßen an dem Tisch der »Archivdamen«) erschallte plötzlich eine fröhliche Stimme: »Seid herzlich gegrüßt, meine lieben Kolleginnen!« Wie eine Diva lächelte sie huldvoll zu uns herab. Dabei hatte sie keinerlei Grund für ihr gönnerhaftes Gehabe: Im Vergleich zu ihr war mein Auftritt auf dem Gschnas vor neun Jahren harmlos ausgefallen: Sie war bemalt, als wäre sie in einen Farbtiegel gefallen, und an ihr baumelten und klimperten unzählige Klunker, die das Label »Modeschmuck« mehr als auffällig zur Schau stellten. Kommissarin Breugel war extrem ausgefressen (mit ihrem Leibesumfang brachte sie sicher an die hundert Kilo oder über auf die Waage), und steckte in altmodischen Klamotten (Verkleidung für das Gschnas, oder als gepflegtes Ausgehkleid?): ein schwarzes Kleid, mit lauter Spitzen, wie eine trauernde Mamma in einer italienischen Oper. Ein schwarzes Spitzenhäubchen hatte sie auf ihre mausbraunen Locken in unpassender Fünziger-Jahre-Frisur gedrückt.
Ich war fassungslos. Meine Mutter und ihre Damen, die diese verrückte Schachtel schon kannten, konnten nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken. Doch René starrte die Witzfigur fasziniert an. Nach dem Austausch einiger Banalitäten forderte er sie glatt zum Tanz auf!
Da reichte es mir, und ich ging meinen ersten Drink holen. Der Mann in der Badehose (sollte das sein Kostüm darstellen?), der fadisiert an der Bar hockte, sprach mich an. Einer dieser öden Typen, die glauben, attraktiv ist gleich blöd, und sich daher im Glauben sicher fühlen, dass sie nicht mit einem höheren Niveau als ihrem eigenen rechnen müssen. Normalerweise hätte ich einen solchen Trottel beinhart abgewiesen; da er jedoch an Aussehen ausglich, was ihm beim Hirn fehlte, ließ ich mich anmachen. Ich überredete ihn, in den Tanzsaal zurückzukehren. Er ging mir ziemlich am Wecker bei der Schunkelei, aber ich hoffte, René würde es bemerken und eifersüchtig reagieren. Aber nichts da! Er hatte nur Augen für die Kommissarin, redete ständig auf sie ein. Sollte ich allen Ernstes mit dieser Vogelscheuche in Konkurrenz treten?
Endlich hörten sie auf zu tanzen. Ich dachte, sie wünschte zum Tisch zurückzukehren, aber er schien sie überredet zu haben, die Halle zu verlassen. Wollte er »seine« Kommissarin nicht mit den Archivdamen teilen? Mich hatte René in keinster Weise beachtet.
Ich war sauer. Nachdem René verschwunden war, erledigte ich mich rasch meines stumpfsinnigen Beaus (nicht ohne einen verstohlenen Blick auf seine Badehose geworfen zu haben) und eilte von dannen. Zeit für den zweiten Margherita. Wer saß da an einem der runden Tischchen in der improvisierten Bar? Richtig. Erhobenen Hauptes, ohne René und seine Kommissarin eines Blickes zu würdigen, zischte ich an ihnen vorbei. Mit dem Drink verzog ich mich auf die Toilette und grübelte über mein Schicksal.
Als ich den nächsten Margherita orderte, hatte zwar das ungleiche Paar die Bar verlassen, dafür lief mir meine Mutter über den Weg. Zu meinem eigenen Ärger konnte ich es nicht lassen, nach René Ausschau zu halten. Im Tanzsaal war er auch nicht. Ich überwand mich und suchte den »Archivtisch« auf. Zum Glück war meine hochverehrte Mutter gerade nicht präsent.
»Wo ist denn der René?« erkundigte ich mich in möglichst harmlosem Ton.
Die Damen wussten Bescheid: Die Diva wollte das Fest verlassen, und René hatte sie hinaus begleitet, um ihr ein Taxi zu rufen.
»Ja, Sandra«, kicherte die Meier, eine besonders schwachsinnige Kollegin meiner Mutter, »der René kümmert sich angeregt um die Breugel. Da musst du aufpassen!« Und der Steiner fiel nichts Besseres ein, als stolz hinzuzufügen, dass dies ihr Verdienst wäre. Schließlich wäre es ihre Idee gewesen, dem René die KB-Akten zu überlassen. »Hätte mir nicht gedacht, dass unser Praktikant sich so sehr dafür interessieren würde.«
Ich auch nicht. »Ich geh’ mal wieder«, murmelte ich und entfernte mich rasch. Ich wollte mich unsichtbar machen und verkriechen. Die Toilette bildete leider keinen idealen Rückzugsort.
Langsam erklomm ich die Stiegen. Im ersten Stock schien alles ruhig. Der Gang düster, nur spärlich mit Niedrig-Volt-Lampen beleuchtet. Ich probierte die Türen aus. Alle verschlossen. Zur Not musste ich mich auf den Boden im Gang setzen.
Schließlich (ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben) ließ sich eine Tür öffnen. Ein kleines Vorzimmer, typischer Arbeitsplatz einer Sekretärin. In dem Raum befand sich eine weitere Tür. Richtig. Sie führte in das weitläufige Zimmer eines Chefs.