Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Mittwoch, 18. Februar 2009

Kommissarin 17 - Kapitel 5

SANDRAS GEHEIMNIS
Kapitel 5

»Noch einen Margherita, bitte!«
Ungeduldig wartete ich, während der Drink zubereitet wurde. Bei dieser Veranstaltung, die scheinbar unter dem Motto Nieten-hoch-zwei zu stehen schien, konnte frau sich nur besaufen.
»Sandra, hattest du nicht schon einige Tequilas?«
Vorwurfsvoller mütterlicher Ton. Und ich war so schlecht drauf, dass es mir nicht mehr gelang, ein »Rutsch mir den Buckel runter!« zu denken und sie mit charmantem Lächeln abzuservieren.
»Danke!« Erleichtert griff ich nach dem Drink, schob den Schein und die zwei Münzen hinüber und trat die Flucht an.
»Sandra, du sollst nicht…«
Ich spürte meine Häarchen auf der Haut sich regelrecht aufstellen, gleich den Stacheln eines Igels. In mir zog sich alles zusammen.
Das hatte ich notwendig, mit der eigenen Mutter ein Festl zu besuchen. Warum nur hatte ich mich darauf eingelassen?
Die Antwort kannte ich leider allzu gut. René. Dieser trottelige Student, der mir (zumindestens anfangs, als er mir nichts bedeutet hatte) wie ein Hündchen nachgelaufen war. Irgendwie taugte mir das. Es war richtiggehend spannend, auszugehen und nicht zu wissen, ob ich ihn in einem Lokal »zufällig« träfe. Weil er stundenlang auf mich gewartet hatte.
Natürlich hatte es mich geärgert, als mich Barbara und Cindy, meine Freundinnen, mit ihm aufzogen. Zunächst. Bis ich merkte, dass sie eigentlich nur neidisch waren.
Nein, der Kerl war gar nicht so übel. Er war auch keineswegs ein solcher Tölpel, wie ich im ersten Moment geglaubt hatte. Dass er bei der Polizei gelandet war, was ja alles andere als eine Auszeichnung bedeutete, konnte ich inzwischen verstehen. Weil ihn sein Dad unter Druck gesetzt hatte. Okay, da hätte ich mich auch auf den Deal eingelassen.
Nur seine Eifersucht ging mir auf den Keks. Nein, nicht wirklich. Im Grunde freute mich seine Aufmerksamkeit. Sie tat mir gut. Außer wenn er mir zusetzte. Meine Geschichtln nicht mehr schluckte. Er hatte entdeckt, dass ich am Mittwoch Abend nicht auf die Uni ging. Wenn er so weitermachte, fand er womöglich noch heraus, was ich in Wahrheit machte. Und das ging ihn absolut nichts an. Ich hatte niemandem davon erzählt. Nicht einmal Barbara oder Cindy. Das heißt, bei Barbara war ich schon nahe dran gewesen, aber dann hatte ich bemerkt, dass sie mit ihren Gedanken woanders war … Dazu ist mir die Sache viel zu ernst. Besser schweigen.
Ich gebe es zu: Ich bin gewohnt, meine Umwelt nach meiner Pfeife tanzen zu lassen. Angefangen von meiner Mutter über meine Freunde bis hin zu den Professoren. Mein Aussehen hilft mir dabei, zweifelsohne. Aber ohne Hirn und Psychologie läuft gar nichts. Ich habe den Umgang mit den Mitmenschen im Laufe der Jahre perfektioniert und hielt mich bereits für eine Meisterin.
Doch in letzter Zeit lief alles schief. Genau dort, wo mir etwas sehr am Herzen lag, versagte meine Wunderwaffe Manipulation. Nicht nur, dass ich die Keuler nicht um den Finger wickeln konnte, auch der René beschritt auf einmal eigene Wege.
Ich dumme Gans dachte, wegen mir wäre er zum Geriatriezentrum am Wienerberg gefahren! Um mich abzuholen. War mir zwar nicht recht, weil ich befürchtete, er könnte erfahren, was ich dort zu tun hatte. Die Geschichte mit dem Psychologie-Seminar (oder hatte ich Soziologie gesagt?) hatte er nicht geschluckt. Aber der Grund seines Besuchs bei den Oldies war – hatte ich inzwischen gecheckt – tatsächlich diese Schmalbaum (und nicht ich!). Vielleicht hatte er es zeitlich so gelegt, dass er mich träfe. Die Schmalbaum stellte jedoch sein primäres Ziel dar. Beziehungsweise sein mittelbares, denn in Wirklichkeit ging es um diese Kommissarin Breugel.
Je mehr sich René für die Kommissarin interessierte, umso bewusster wurde mir, wie sehr ich auf den Kerl stand. Hatte er sich womöglich schon mit der Kommissarin getroffen? Sie konnte doch gar nicht sein Typ sein, die war locker zehn Jahre älter als er, hatte ich in Erfahrung gebracht.
Die elendige Kommissarin ruinierte auch diesen Abend, ärgerte ich mich, während ich mit meinem Margherita etwas verloren bei der Tür stand und dem peinlichen Gehopse auf der improvisierten Tanzfläche zusah. Ich hatte völlig verdrängt, wie lächerlich diese Veranstaltung war. Jedes Jahr fand am elften November ein polizeiliches Gschnas statt, um den offiziellen Beginn des Faschings einzuläuten. Als Räumlichkeit wurde das Gebäude, in dem meine Mutter »arbeitete« (sagen wir: beschäftigt war), gewählt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tauchten in den unmöglichsten Kostümen auf: die Farbe Grün (bedingt durch die Amtszugehörigkeit zur Polizei?) war besonders beliebt, zahlreiche Männer waren als Jäger verkleidet und missbrauchten die Gelegenheit, um, in Knickerbocker, ohne Socken gekleidet, ihre weißen, dünnen Wadeln dem Publikum zu präsentieren. Andere wollten einmal von der Täterseite in die Rolle des Gejagten wechseln: ein Hirsch mit einem mächtigen Geweih, ein Hase und ein Bär waren diesmal vertreten. Ich war mir nicht sicher, ob nicht manche das Gschnas mit dem Jägerball verwechselt hatten.
Es war noch nicht einmal spät, aber die Gäste wirkten völlig überdreht. Kein Wunder angesichts dieses Alkoholkonsums! Bier war frei. In der Halle prunkte ein Riesenfass: Jeder konnte sich nach Belieben bedienen. Unter dem Zapfhahn hatte sich bereits eine widerliche Lacke gebildet. Der Alk wirkte: Die würdigen Polizeibeamten grölten und stampften auf der Tanzfläche herum, einige hatten sich in ein Eck zurückgezogen und ließen den Kopf hängen. Wer in knappem Abstand vorbeiging, bekam genüßliches Grunzen zu hören.
Eigentlich hätte ich wissen müssen, worauf ich mich einließ. Schließlich hatte ich vor vielen Jahren, als mein Vater noch lebte und meine Mutter als Abteilungsleiter-Gattin einen hohen Rang in der Polizeihierarchie einnahm, schon einmal dieses Fest der Lächerlichkeiten besucht. Es war nicht anders abgelaufen; den Hirschen mit dem Geweih-Hut hatte, meinte ich mich zu erinnern, ich schon damals gesehen. In dem Alter hatte mir das Gschnas ungeheuer viel bedeutet, und ich hatte enorm viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt. Ich kam zwar nicht verkleidet, dafür geschminkt und herausgeputzt, dass ich (hatte ich mir eingebildet) glatt als Zwanzigjährige durchgehen würde. In der Realität war ich einfach eine naive, lächerlich bemalte Dreizehnjährige, um die sich ein paar junge Männer kümmerten, weil, wie ich später erfahren sollte, mein Vater, der mächtige Boss, vor dem sich alle fürchteten, sie damit beauftragt hatte.
Ein Grund mehr, diese Veranstaltung für immer und ewig zu meiden.