Buchtipp: "Die vierundfünfzigste Passagierin"

Lisa, die biedere Büroangestellte, fühlt sich ausgebeutet und unverstanden. Eine Dienstreise wird zum Sprungbrett für die vermeintliche Freiheit. Sie kehrt dem Arbeitsalltag den Rücken. Die Flucht aus dem öden Dasein birgt allerdings ungeahnte Gefahren. Und Mona, die Lisa für ihre Lebensretterin hält, ist der Aussteigerin auf der Spur.

"Die vierundfünfzigste Passagierin", der erste Roman von Franca Orsetti, erschienen im UHUDLA-Verlag.

480 Seiten, Farbeinband. Euro 17,80. Erhältlich im guten Fachhandel oder direkt beim UHUDLA (Bestellformular)

Samstag, 21. Februar 2009

Kommissarin 19 - Kapitel 5

Ich ließ mich in den bequemen Lehnstuhl plumpsen. Da ließ es sich schon aushalten. Ich schaltete den Computer ein. Mal schauen, was das Internet bot. Vielleicht gab es Spiele am PC. Oder ich entdeckte Pornos auf dem Polizeidienstgerät?
Während der Computer hochfuhr, durchkramte ich die nicht-abgesperrten Laden des Schreibtisches. Sieh an, eine noch ungeöffnete Bonboniere. Ungeduldig riss ich das Zellophanpapier herunter. Der Abend schien doch noch gerettet.
Ich war in eine Patience vertieft, als ich Stimmen hörte. Mist! Im Vorzimmer ging das Licht an. Mir blieb keine Zeit, den Computer abzuschalten oder wenigstens in den Ruhezustand zu versetzen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich die Schreibtischlampe abdrehen und unter den Tisch schlüpfen.
Eine kichernde Frauenstimme. Klang sehr jung. O je! Ich ahnte, wer die Besucher wären. Ein Paar, das einen einsamen Ort suchte. Ich befürchtete, Zeugin zu werden … Hoffentlich blieben sie im Vorzimmer.
Jetzt sprach der Mann. Er machte der Frau Komplimente. Ich konnte seine Stimme deutlich wahrnehmen. Mir blieb das Herz im Hals stecken. Das war doch René! Nein, das durfte nicht wahr sein. René und die Kommissarin!
Vorsichtig hob ich den Kopf und spähte über die Schreibtischkante ins Vorzimmer. Was ich da sah, gefiel mir überhaupt nicht: Es war der René. Er klebte an einer Frau, so eng wie sich der Badewaschel beim Tanzen an mich gepresst hatte. Aber seine Begleiterin war nicht die Kommissarin. Sondern ein junges Dirndl, höchstens halb so schwer wie die Breugel. Was trieb er nur mit ihr? Hatte ich den René so falsch eingeschätzt?
»Du hast wirklich Zugang?« Er gab sich beeindruckt. Wie plump!
Das Mädchen erklärte stolz, auf alle Personalakten zugreifen zu können.
»Echt? Zeigst du mir das?«
Er solle eine Person nennen, schlug das Mädchen vor.
Die Wahl, die René traf, überraschte mich nit. »Weißt du«, erklärte er dem Mädchen, »ich gebe die Fälle ein, welche die Kommissarin gelöst hat.«
»Dazu müssen wir in ein anderes Zimmer gehen. Durch das vom Chef durch.« Das Mädchen drehte bereits das Licht in »meinem« Raum auf. Ich machte mich unter dem Schreibtisch klein.
»Da war wer!« rief René überrascht aus. Richtig, der leuchtende Bildschirm und die geöffnete Bonboniere verrieten meine Präsenz.
Das Mädchen bekam es mit der Angst zu tun. »Nichts wie weg!« Ich erlebte in meinem Versteck richtiggehend mit, wie sie ihn aus dem Zimmer zerrte.
René weigerte sich. »Nein, nicht doch. Das waren nur zwei, die hatten sich gern. So wie wir.« Seine Stimme schmeichelte. So hatte er sich mir gegenüber nie verhalten. (Würde ich mir aber auch verbieten.) »Die sind längst weg. Haben sich wahrscheinlich verjagen lassen. Wir bleiben. Du zeigst mir das, und dann …« Er lockte. Vergeblich. Das Mädchen ließ sich nicht darauf ein: »Ich möchte keine Schwierigkeiten bekommen. Es war so schwer, die Lehrstelle zu erhaschen …«
René gab nach. Seufzend, wie ich mir einbildete. »Na, wenn du dich wohler fühlst. Wir finden sicher ein anderes Plätzchen, wo …« Die Schritte und Stimmen entfernten sich.
Wütend kroch ich hervor. Ich schaltete wieder die Schreibtischlampe an, öffnete das Word, tipppte »René war hier« und schmiss die halbleere Bonboniere in einen Mistkübel, der mit »Nur für Papier« beschriftet war. Ohne Computer oder Licht abzudrehen, verließ ich den Raum.
Dass sich das Gschnas dermaßen fatal entwickeln würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Albträumen nicht ausgemalt. Beleidigt schlich ich die Stiegen hinunter und schaffte es (allerdings zu dem Preis, meine Jacke in der Garderobe hängen zu lassen), mich unbemerkt aus dem Gebäude zu stehlen.